Freitag, 26. April 2013

Mein Ich und mein Es - Wir beide sind Eins

Im Jahre 1923 beschrieb Sigmund Freud in seinem Buch "Das Ich und das Es" erstmals seine Theorie über das Es, das Ich und das Über-Ich.  Das Es steht für das mächtige Unterbewusstsein, dem Freud bereits vor 100 Jahren eine überragende Bedeutung zusprach. Heute wissen wir dank modernster Technik, dass tatsächlich über 90 Prozent aller Handlungen, die wir täglich vollbringen, von unserem Unterbewusstsein, dem Es, in die Wege geleitet werden. Sigmund Freuds Werke sind übrigens nicht nur für die Wissenschaft von historischer Bedeutung. Sie sind auch für Literaten überaus empfehlenswert. Lesen Sie die komplette Ausgabe "Das Ich und das Es" von Sigmund Freud:


I. Bewusstsein und Unbewusstes

In diesem einleitenden Abschnitt ist nichts Neues zu sagen und dieWiederholung von früher oft Gesagtem nicht zu vermeiden.
DieUnterscheidung des Psychischen in Bewusstes und Unbewusstes ist dieGrundvoraussetzung der Psychoanalyse und gibt ihr allein dieMöglichkeit, die ebenso häufigen als wichtigen pathologischenVorgänge im Seelenleben zu verstehen, der Wissenschaft einzuordnen.Nochmals und anders gesagt: Die Psychoanalyse kann das Wesen desPsychischen nicht ins Bewusstsein verlegen, sondern muss dasBewusstsein als eine Qualität des Psychischen ansehen, die zuanderen Qualitäten hinzukommen oder wegbleiben mag.
Wenn ich mirvorstellen könnte, dass alle an der Psychologie Interessierten dieseSchrift lesen werden, so wäre ich auch darauf vorbereitet, dassschon an dieser Stelle ein Teil der Leser haltmacht und nicht weitermitgeht, denn hier ist das erste Schibboleth der Psychoanalyse. Denmeisten philosophisch Gebildeten ist die Idee eines Psychischen, dasnicht auch bewusst ist, so unfassbar, dass sie ihnen absurd und durchbloße Logik abweisbar erscheint. Ich glaube, dies kommt nur daher,dass sie die betreffenden Phänomene der Hypnose und des Traumes,welche – vom Pathologischen ganz abgesehen – zu solcherAuffassung zwingen, nie studiert haben. Ihre Bewusstseinspsychologieist aber auch unfähig, die Probleme des Traumes und der Hypnose zulösen.
bewusst sein ist zunächst ein rein deskriptiver Terminus,der sich auf die unmittelbarste und sicherste Wahrnehmung beruft. DieErfahrung zeigt uns dann, dass ein psychisches Element, zum Beispieleine Vorstellung, gewöhnlich nicht dauernd bewusst ist. Es istvielmehr charakteristisch, dass der Zustand des Bewusstseins raschvorübergeht; die jetzt bewusste Vorstellung ist es im nächstenMoment nicht mehr, allein sie kann es unter gewissen leichthergestellten Bedingungen wieder werden. Inzwischen war sie, wirwissen nicht was; wir können sagen, sie sei latent gewesen,und meinen dabei, dass sie jederzeit Bewusstseinsfähig war.Auch wenn wir sagen, sie sei unbewusst gewesen, haben wir einekorrekte Beschreibung gegeben. Dieses unbewusst fällt dann mitlatent-Bewusstseinsfähig zusammen. Die Philosophen würden uns zwareinwerfen: »Nein, der Terminus unbewusst hat hier keine Anwendung,solange die Vorstellung im Zustand der Latenz war, war sie überhauptnichts Psychisches.« Würden wir ihnen schon an dieser Stelle widersprechen, so gerieten wir in einen Wortstreit, aus dem sichnichts gewinnen ließe.
Wir sind aber zum Terminus oder Begriffdes Unbewussten auf einem anderen Weg gekommen, durch Verarbeitungvon Erfahrungen, in denen die seelische Dynamik eine Rollespielt. Wir haben erfahren, das heißt annehmen müssen, dass es sehrstarke seelische Vorgänge oder Vorstellungen gibt – hier kommtzuerst ein quantitatives, also ökonomisches Moment in Betracht –,die alle Folgen für das Seelenleben haben können wie sonstigeVorstellungen, auch solche Folgen, die wiederum als Vorstellungenbewusst werden können, nur werden sie selbst nicht bewusst. Es istnicht nötig, hier ausführlich zu wiederholen, was schon so oftdargestellt worden ist. Genug, an dieser Stelle setzt diepsychoanalytische Theorie ein und behauptet, dass solcheVorstellungen nicht bewusst sein können, weil eine gewisse Kraftsich dem widersetzt, dass sie sonst bewusst werden könnten und dassman dann sehen würde, wie wenig sie sich von anderen anerkanntenpsychischen Elementen unterscheiden. Diese Theorie wird dadurchunwiderleglich, dass sich in der psychoanalytischen Technik Mittelgefunden haben, mit deren Hilfe man die widerstrebende Kraft aufhebenund die betreffenden Vorstellungen bewusstmachen kann. Den Zustand,in dem diese sich vor der Bewusstmachung befanden, heißen wirVerdrängung, und die Kraft, welche die Verdrängungherbeigeführt und aufrecht gehalten hat, behaupten wir während deranalytischen Arbeit als Widerstand zu verspüren.

UnserenBegriff des unbewussten gewinnen wir also aus der Lehre von der Verdrängung. Das Verdrängte ist uns das Vorbild des unbewussten.Wir sehen aber, dass wir zweierlei unbewusstes haben, das latente,doch Bewusstseinsfähige, und das Verdrängte, an sich und ohneweiteres nicht Bewusstseinsfähige. Unser Einblick in die psychische Dynamik kann nicht ohne Einfluss auf Nomenklatur und Beschreibungbleiben. Wir heißen das Latente, das nur deskriptiv unbewusst ist,nicht im dynamischen Sinne, vorbewusst; den Namen unbewusstbeschränken wir auf das dynamisch unbewusste Verdrängte, so dasswir jetzt drei Termini haben, bewusst (bw), vorbewusst (vbw)und unbewusst (ubw), deren Sinn nicht mehr rein deskriptivist. Das Vbw, nehmen wir an, steht dem Bw viel näherals das Ubw, und da wir das Ubw psychisch geheißenhaben, werden wir es beim latenten Vbw um so unbedenklichertun. Warum wollen wir aber nicht lieber im Einvernehmen mit den Philosophen bleiben und das Vbw wie das Ubwkonsequenterweise vom bewussten Psychischen trennen? Die Philosophenwürden uns dann vorschlagen, das Vbw wie das Ubw alszwei Arten oder Stufen des Psychoiden zu beschreiben, und dieEinigkeit wäre hergestellt. Aber unendliche Schwierigkeiten in derDarstellung wären die Folge davon, und die einzig wichtige Tatsache,dass diese Psychoide fast in allen anderen Punkten mit dem anerkanntPsychischen übereinstimmen, wäre zugunsten eines Vorurteils in den Hintergrund gedrängt, eines Vorurteils, das aus der Zeit stammt, da man diese Psychoide oder das Bedeutsamste von ihnen noch nicht kannte.
Nun können wir mit unseren drei Termini, bw, vbwund ubw, bequem wirtschaften, wenn wir nur nicht vergessen,dass es im deskriptiven Sinne zweierlei unbewusstes gibt, imdynamischen aber nur eines. Für manche Zwecke der Darstellung kannman diese Unterscheidung vernachlässigen, für andere ist sienatürlich unentbehrlich. Wir haben uns immerhin an dieseZweideutigkeit des unbewussten ziemlich gewöhnt und sind gut mit ihrausgekommen. Vermeiden lässt sie sich, soweit ich sehen kann, nicht;die Unterscheidung zwischen bewusstem und unbewusstem ist schließlicheine Frage der Wahrnehmung, die mit Ja oder Nein zu beantworten ist,und der Akt der Wahrnehmung selbst gibt keine Auskunft darüber, auswelchem Grund etwas wahrgenommen wird oder nicht wahrgenommen wird.Man darf sich nicht darüber beklagen, dass das Dynamische in derErscheinung nur einen zweideutigen Ausdruck findetSoweit vgl.:›Bemerkungen über den Begriff des unbewussten‹. Eine neuerlicheWendung in der Kritik des unbewussten verdient an dieser Stellegewürdigt zu werden. Manche Forscher, die sich der Anerkennung derpsychoanalytischen Tatsachen nicht verschließen, das unbewusste abernicht annehmen wollen, schaffen sich eine Auskunft mit Hilfe derunbestrittenen Tatsache, dass auch das Bewusstsein – als Phänomen– eine große Reihe von Abstufungen der Intensität oderDeutlichkeit erkennen lässt. So wie es Vorgänge gibt, die sehrlebhaft, grell, greifbar bewusst sind, so erleben wir auch andere,die nur schwach, kaum eben merklich bewusst sind, und die amschwächsten bewussten seien eben die, für welche die Psychoanalysedas unpassende Wort unbewusst gebrauchen wolle. Sie seien aber dochauch bewusst oder »im Bewusstsein« und lassen sich voll und starkbewusstmachen, wenn man ihnen genug Aufmerksamkeit schenkte.
Soweitdie Entscheidung in einer solchen entweder von der Konvention odervon Gefühlsmomenten abhängigen Frage durch Argumente beeinflusstwerden kann, lässt sich hierzu folgendes bemerken: Der Hinweis aufeine Deutlichkeitsskala der Bewusstheit hat nichts Verbindliches undnicht mehr Beweiskraft als etwa die analogen Sätze: »Es gibt soviel Abstufungen der Beleuchtung vom grellsten, blendenden Licht biszum matten Lichtschimmer, folglich gibt es überhaupt keineDunkelheit.« Oder: »Es gibt verschiedene Grade von Vitalität,folglich gibt es keinen Tod.« Diese Sätze mögen ja in einer gewissen Weise sinnreich sein, aber sie sind praktisch verwerflich,wie sich herausstellt, wenn man bestimmte Folgerungen von ihnen ableiten will, zum Beispiel: »also braucht man kein Lichtanzustecken«, oder: »also sind alle Organismen unsterblich«.Ferner erreicht man durch die Subsumierung des Unmerklichen unter dasbewusste nichts anderes, als dass man sich die einzige unmittelbareSicherheit verdirbt, die es im Psychischen überhaupt gibt. EinBewusstsein, von dem man nichts weiß, scheint mir doch um vielesabsurder als ein unbewusstes Seelisches. Endlich ist solcheAngleichung des Unbemerkten an das unbewusste offenbar ohne Rücksichtauf die dynamischen Verhältnisse versucht worden, welche für diepsychoanalytische Auffassung maßgebend waren. Denn zwei Tatsachenwerden dabei vernachlässigt; erstens, dass es sehr schwierig ist,großer Anstrengung bedarf, um einem solchen Unbemerkten genugAufmerksamkeit zuzuführen, und zweitens, dass, wenn dies gelungenist, das vordem Unbemerkte jetzt nicht vom Bewusstsein erkannt wird,sondern oft genug ihm völlig fremd, gegensätzlich erscheint und vonihm schroff abgelehnt wird. Der Rekurs vom unbewussten auf das wenigBemerkte und nicht Bemerkte ist also doch nur ein Abkömmling desVorurteils, dem die Identität des Psychischen mit dem bewussten einfür allemal feststeht.
Im weiteren Verlauf der psychoanalytischenArbeit stellt sich aber heraus, dass auch diese Unterscheidungenunzulänglich, praktisch insuffizient sind. Unter den Situationen,die das zeigen, sei folgende als die entscheidende hervorgehoben. Wir haben uns die Vorstellung von einer zusammenhängenden Organisationder seelischen Vorgänge in einer Person gebildet und heißen diesedas Ich derselben. An diesem Ich hängt das Bewusstsein, esbeherrscht die Zugänge zur Motilität, das ist: zur Abfuhr derErregungen in die Außenwelt; es ist diejenige seelische Instanz,welche eine Kontrolle über all ihre Partialvorgänge ausübt, welchezur Nachtzeit schlafen geht und dann immer noch die Traumzensurhandhabt. Von diesem Ich gehen auch die Verdrängungen aus, durchwelche gewisse seelische Strebungen nicht nur vom Bewusstsein,sondern auch von den anderen Arten der Geltung und Betätigungausgeschlossen werden sollen. Dies durch die Verdrängung Beseitigtestellt sich in der Analyse dem Ich gegenüber, und es wird derAnalyse die Aufgabe gestellt, die Widerstände aufzuheben, die dasIch gegen die Beschäftigung mit dem Verdrängten äußert. Nunmachen wir während der Analyse die Beobachtung, dass der Kranke inSchwierigkeiten gerät, wenn wir ihm gewisse Aufgaben stellen; seineAssoziationen versagen, wenn sie sich dem Verdrängten annähernsollen. Wir sagen ihm dann, er stehe unter der Herrschaft einesWiderstandes, aber er weiß nichts davon, und selbst wenn er ausseinen Unlustgefühlen erraten sollte, dass jetzt ein Widerstand inihm wirkt, so weiß er ihn nicht zu benennen und anzugeben. Da aberdieser Widerstand sicherlich von seinem Ich ausgeht und diesemangehört, so stehen wir vor einer unvorhergesehenen Situation. Wirhaben im Ich selbst etwas gefunden, was auch unbewusst ist, sichgeradeso benimmt wie das Verdrängte, das heißt starke Wirkungenäußert, ohne selbst bewusst zu werden, und zu dessen bewusstmachunges einer besonderen Arbeit bedarf. Die Folge dieser Erfahrung fürdie analytische Praxis ist, dass wir in unendlich vieleUndeutlichkeiten und Schwierigkeiten geraten, wenn wir an unserergewohnten Ausdrucksweise festhalten und zum Beispiel die Neurose aufeinen Konflikt zwischen dem bewussten und dem unbewusstenzurückführen wollen. Wir müssen für diesen Gegensatz aus unsererEinsicht in die strukturellen Verhältnisse des Seelenlebens einenanderen einsetzen: den zwischen dem zusammenhängenden Ich und demvon ihm abgespaltenen VerdrängtenVgl. Jenseits desLustprinzips..
Die Folgen für unsere Auffassung desunbewussten sind aber noch bedeutsamer. Die dynamische Betrachtunghatte uns die erste Korrektur gebracht, die strukturelle Einsichtbringt uns die zweite. Wir erkennen, dass das Ubw nicht mitdem Verdrängten zusammenfällt; es bleibt richtig, dass allesVerdrängte ubw ist, aber nicht alles Ubw ist auchverdrängt. Auch ein Teil des Ichs, ein Gott weiß wie wichtiger Teildes Ichs, kann ubw sein, ist sicherlich ubw. Und diesUbw des Ichs ist nicht latent im Sinne des Vbw, sonstdürfte es nicht aktiviert werden, ohne bw zu werden, undseine Bewusstmachung dürfte nicht so große Schwierigkeitenbereiten. Wenn wir uns so vor der Nötigung sehen, ein drittes, nichtverdrängtes Ubw aufzustellen, so müssen wir zugestehen, dassder Charakter des Unbewusstseins für uns an Bedeutung verliert. Erwird zu einer vieldeutigen Qualität, die nicht die weitgehenden undausschließenden Folgerungen gestattet, für welche wir ihn gerneverwertet hätten. Doch müssen wir uns hüten, ihn zuvernachlässigen, denn schließlich ist die Eigenschaft bewusst odernicht die einzige Leuchte im Dunkel der Tiefenpsychologie.

II. Das Ich und das Es

Die pathologische Forschung hat unser Interesse allzuausschließlich auf das Verdrängte gerichtet. Wir möchten mehr vomIch erfahren, seitdem wir wissen, dass auch das Ich unbewusst imeigentlichen Sinne sein kann. Unser einziger Anhalt während unsererUntersuchungen war bisher das Kennzeichen des Bewusst- oderUnbewusstseins; zuletzt haben wir gesehen, wie vieldeutig dies seinkann.
Nun ist all unser Wissen immer an das Bewusstsein gebunden.Auch das Ubw können wir nur dadurch kennenlernen, dass wir esbewusstmachen. Aber halt, wie ist das möglich? Was heißt: etwasbewusstmachen? Wie kann das vor sich gehen?
Wir wissen schon, wowir hierfür anzuknüpfen haben. Wir haben gesagt, das Bewusstseinist die Oberfläche des seelischen Apparates, das heißt, wirhaben es einem System als Funktion zugeschrieben, welches räumlichdas erste von der Außenwelt her ist. Räumlich übrigens nicht nurim Sinne der Funktion, sondern diesmal auch im Sinne der anatomischenZergliederungS. Jenseits des Lustprinzips.. Auch unserForschen muss diese wahrnehmende Oberfläche zum Ausgang nehmen.
Vonvornherein bw sind alle Wahrnehmungen, die von außenherankommen (Sinneswahrnehmungen), und von innen her, was wirEmpfindungen und Gefühle heißen. Wie aber ist es mit jenen innerenVorgängen, die wir etwa – roh und ungenau – als Denkvorgängezusammenfassen können? Kommen sie, die sich irgendwo im Innern desApparates als Verschiebungen seelischer Energie auf dem Wege zurHandlung vollziehen, an die Oberfläche, die das Bewusstseinentstehen lässt, heran? Oder kommt das Bewusstsein zu ihnen? Wirmerken, das ist eine von den Schwierigkeiten, die sich ergeben, wennman mit der räumlichen, topischen Vorstellung des seelischenGeschehens Ernst machen will. Beide Möglichkeiten sind gleichunausdenkbar, es müsste etwas Drittes der Fall sein.
An eineranderen Stelle›Das unbewusste‹ (1915). habe ich schon die Annahmegemacht, dass der wirkliche Unterschied einer ubw von einervbw Vorstellung (einem Gedanken) darin besteht, dass dieerstere sich an irgendwelchem Material, das unerkannt bleibt,vollzieht, während bei der letzteren (der vbw) die Verbindungmit Wortvorstellungen hinzukommt. Hier ist zuerst der Versuchgemacht, für die beiden Systeme Vbw und UbwKennzeichen anzugeben, die anders sind als die Beziehung zumBewusstsein. Die Frage: »Wie wird etwas bewusst?« lautet alsozweckmäßiger: »Wie wird etwas vorbewusst?« Und die Antwort wäre:»Durch Verbindung mit den entsprechenden Wortvorstellungen.«
DieseWortvorstellungen sind Erinnerungsreste, sie waren einmalWahrnehmungen und können wie alle Erinnerungsreste wieder bewusstwerden. Ehe wir noch weiter von ihrer Natur handeln, dämmert uns wieeine neue Einsicht auf: bewusst werden kann nur das, was schon einmalbw Wahrnehmung war, und was außer Gefühlen von innen herbewusst werden will, muss versuchen, sich in äußere Wahrnehmungenumzusetzen. Dies wird mittels der Erinnerungsspuren möglich.
DieErinnerungsreste denken wir uns in Systemen enthalten, welcheunmittelbar an das System W-Bw anstoßen, so dass ihreBesetzungen sich leicht auf die Elemente dieses Systems von innen herfortsetzen können. Man denkt hier sofort an die Halluzination und andie Tatsache, dass die lebhafteste Erinnerung immer noch von derHalluzination wie von der äußeren Wahrnehmung unterschieden wird,allein ebenso rasch stellt sich die Auskunft ein, dass bei derWiederbelebung einer Erinnerung die Besetzung im Erinnerungssystemerhalten bleibt, während die von der Wahrnehmung nichtunterscheidbare Halluzination entstehen mag, wenn die Besetzung nichtnur von der Erinnerungsspur auf das W-Element übergreift,sondern völlig auf dasselbe übergeht.
Die Wortreste stammenwesentlich von akustischen Wahrnehmungen ab, so dass hiedurchgleichsam ein besonderer Sinnesursprung für das System Vbwgegeben ist. Die visuellen Bestandteile der Wortvorstellung kann manals sekundär, durch Lesen erworben, zunächst vernachlässigen undebenso die Bewegungsbilder des Wortes, die außer bei Taubstummen dieRolle von unterstützenden Zeichen spielen. Das Wort ist docheigentlich der Erinnerungsrest des gehörten Wortes.
Es darf unsnicht beifallen, etwa der Vereinfachung zuliebe, die Bedeutung deroptischen Erinnerungsreste – von den Dingen – zu vergessen, oderzu verleugnen, dass ein bewusstwerden der Denkvorgänge durchRückkehr zu den visuellen Resten möglich ist und bei vielenPersonen bevorzugt scheint. Von der Eigenart dieses visuellen Denkenskann uns das Studium der Träume und der vorbewussten Phantasien nachden Beobachtungen J. Varendoncks eine Vorstellung geben. Manerfährt, dass dabei meist nur das konkrete Material des Gedankensbewusst wird, für die Relationen aber, die den Gedanken besonderskennzeichnen, ein visueller Ausdruck nicht gegeben werden kann. DasDenken in Bildern ist also ein nur sehr unvollkommenes bewusstwerden.Es steht auch irgendwie den unbewussten Vorgängen näher als dasDenken in Worten und ist unzweifelhaft onto- wie phylogenetisch älterals dieses.
Wenn also, um zu unserem Argument zurückzukehren,dies der Weg ist, wie etwas an sich unbewusstes vorbewusst wird, soist die Frage, wie machen wir etwas Verdrängtes (vor)bewusst, zubeantworten: indem wir solche vbw Mittelglieder durch dieanalytische Arbeit herstellen. Das Bewusstsein verbleibt also anseiner Stelle, aber auch das Vbw ist nicht etwa zum Bwaufgestiegen.
Während die Beziehung der äußeren Wahrnehmung zumIch ganz offenkundig ist, fordert die der inneren Wahrnehmung zum Icheine besondere Untersuchung heraus. Sie lässt noch einmal denZweifel auftauchen, ob man wirklich recht daran tut, allesBewusstsein auf das eine oberflächliche System W-Bw zubeziehen.
Die innere Wahrnehmung ergibt Empfindungen von Vorgängenaus den verschiedensten, gewiss auch tiefsten Schichten desseelischen Apparates. Sie sind schlecht gekannt, als ihr bestesMuster können noch die der Lust-Unlustreihe gelten. Sie sindursprünglicher, elementarer als die von außen stammenden, könnennoch in Zuständen getrübten Bewusstseins zustande kommen. Überihre größere ökonomische Bedeutung und deren metapsychologischeBegründung habe ich mich an anderer Stelle geäußert. DieseEmpfindungen sind multilokular wie die äußeren Wahrnehmungen,können gleichzeitig von verschiedenen Stellen kommen und dabeiverschiedene, auch entgegengesetzte Qualitäten haben.
DieEmpfindungen mit Lustcharakter haben nichts Drängendes an sich,dagegen im höchsten Grad die Unlustempfindungen. Diese drängen aufVeränderung, auf Abfuhr, und darum deuten wir die Unlust auf eineErhöhung, die Lust auf eine Erniedrigung der Energiebesetzung.Nennen wir das, was als Lust und Unlust bewusst wird, einquantitativ-qualitativ Anderes im seelischen Ablauf, so ist dieFrage, ob ein solches Anderes an Ort und Stelle bewusst werden kannoder bis zum System W fortgeleitet werden muss.
Dieklinische Erfahrung entscheidet für das letztere. Sie zeigt, dassdies Andere sich verhält wie eine verdrängte Regung. Es kanntreibende Kräfte entfalten, ohne dass das Ich den Zwang bemerkt.Erst Widerstand gegen den Zwang, Aufhalten der Abfuhrreaktion machtdieses Andere sofort als Unlust bewusst. Ebenso wieBedürfnisspannungen, kann auch der Schmerz unbewusst bleiben, diesMittelding zwischen äußerer und innerer Wahrnehmung, der sich wieeine innere Wahrnehmung verhält, auch wo er aus der Außenweltstammt. Es bleibt also richtig, dass auch Empfindungen und Gefühlenur durch Anlangen an das System W bewusst werden; ist dieFortleitung gesperrt, so kommen sie nicht als Empfindungen zustande,obwohl das ihnen entsprechende Andere im Erregungsablauf dasselbeist. Abgekürzter, nicht ganz korrekterweise sprechen wir dann vonunbewussten Empfindungen, halten die Analogie mit unbewusstenVorstellungen fest, die nicht ganz gerechtfertigt ist. DerUnterschied ist nämlich, dass für die ubw Vorstellung erstVerbindungsglieder geschaffen werden müssen, um sie zum Bw zubringen, während dies für die Empfindungen, die sich direktfortleiten, entfällt. Mit anderen Worten: Die Unterscheidung von Bwund Vbw hat für die Empfindungen keinen Sinn, das Vbwfällt hier aus, Empfindungen sind entweder bewusst oder unbewusst.Auch wenn sie an Wortvorstellungen gebunden werden, danken sie nichtdiesen ihr bewusstwerden, sondern sie werden es direkt.
Die Rolleder Wortvorstellungen wird nun vollends klar. Durch ihre Vermittlungwerden die inneren Denkvorgänge zu Wahrnehmungen gemacht. Es ist,als sollte der Satz erwiesen werden: Alles Wissen stammt aus deräußeren Wahrnehmung. Bei einer Überbesetzung des Denkens werdendie Gedanken wirklich – wie von außen – wahrgenommen und darumfür wahr gehalten.
Nach dieser Klärung der Beziehungen zwischenäußerer und innerer Wahrnehmung und dem Oberflächensystem W-Bwkönnen wir darangehen, unsere Vorstellung vom Ich auszubauen. Wirsehen es vom System W als seinem Kern ausgehen und zunächstdas Vbw, das sich an die Erinnerungsreste anlehnt, umfassen.Das Ich ist aber auch, wie wir erfahren haben, unbewusst.
Nunmeine ich, wir werden großen Vorteil davon haben, wenn wir derAnregung eines Autors folgen, der vergebens aus persönlichen Motivenbeteuert, er habe mit der gestrengen, hohen Wissenschaft nichts zutun. Ich meine G. Groddeck, der immer wieder betont, dass das,was wir unser Ich heißen, sich im Leben wesentlich passiv verhält,dass wir nach seinem Ausdruck »gelebt« werden vonunbekannten, unbeherrschbaren MächtenG. Groddeck, Das Buch vom Es(1923).. Wir haben alle dieselben Eindrücke empfangen, wenngleichsie uns nicht bis zum Ausschluss aller anderen überwältigt haben,und verzagen nicht daran, der Einsicht Groddecks ihre Stelle in demGefüge der Wissenschaft anzuweisen. Ich schlage vor, ihr Rechnung zutragen, indem wir das vom System W ausgehende Wesen, daszunächst vbw ist, das Ich heißen, das anderePsychische aber, in welches es sich fortsetzt und das sich wie ubwverhält, nach Groddecks Gebrauch das Es.
Wir werden baldsehen, ob wir aus dieser Auffassung Nutzen für Beschreibung undVerständnis ziehen können. Ein Individuum ist nun für uns einpsychisches Es, unerkannt und unbewusst, diesem sitzt das Ichoberflächlich auf, aus dem W-System als Kern entwickelt.Streben wir nach graphischer Darstellung, so werden wir hinzufügen,das Ich umhüllt das Es nicht ganz, sondern nur insoweit das System Wdessen Oberfläche bildet, also etwa so wie die Keimscheibe dem Eiaufsitzt. Das Ich ist vom Es nicht scharf getrennt, es fließt nachunten hin mit ihm zusammen.
Aber auch das Verdrängte fließt mitdem Es zusammen, ist nur ein Teil von ihm. Das Verdrängte ist nurvom Ich durch die Verdrängungswiderstände scharf geschieden, durchdas Es kann es mit ihm kommunizieren. Wir erkennen sofort, fast alleSonderungen, die wir auf die Anregung der Pathologie hin beschriebenhaben, beziehen sich nur auf die – uns allein bekannten –oberflächlichen Schichten des seelischen Apparates. Wir könnten vondiesen Verhältnissen eine Zeichnung entwerfen, deren Konturenallerdings nur der Darstellung dienen, keine besondere Deutungbeanspruchen sollen. Etwa fügen wir hinzu, dass das Ich eine»Hörkappe« trägt, nach dem Zeugnis der Gehirnanatomie nur aufeiner Seite. Sie sitzt ihm sozusagen schief auf.
Es ist leicht einzusehen, das Ich ist der durch den direktenEinfluss der Außenwelt unter Vermittlung von W-Bw veränderteTeil des Es, gewissermaßen eine Fortsetzung derOberflächendifferenzierung. Es bemüht sich auch, den Einfluss derAußenwelt auf das Es und seine Absichten zur Geltung zu bringen, istbestrebt, das Realitätsprinzip an die Stelle des Lustprinzips zusetzen, welches im Es uneingeschränkt regiert. Die Wahrnehmungspielt für das Ich die Rolle, welche im Es dem Trieb zufällt. DasIch repräsentiert, was man Vernunft und Besonnenheit nennen kann, imGegensatz zum Es, welches die Leidenschaften enthält. Dies allesdeckt sich mit allbekannten populären Unterscheidungen, ist aberauch nur als durchschnittlich oder ideell richtig zu verstehen.
Diefunktionelle Wichtigkeit des Ichs kommt darin zum Ausdruck, dass ihmnormalerweise die Herrschaft über die Zugänge zur Motilitäteingeräumt ist. Es gleicht so im Verhältnis zum Es dem Reiter, derdie überlegene Kraft des Pferdes zügeln soll, mit dem Unterschied,dass der Reiter dies mit eigenen Kräften versucht, das Ich mitgeborgten. Dieses Gleichnis trägt ein Stück weiter. Wie dem Reiter,will er sich nicht vom Pferd trennen, oft nichts anderes übrigbleibt,als es dahin zu führen, wohin es gehen will, so pflegt auch das Ichden Willen des Es in Handlung umzusetzen, als ob es der eigenewäre.
Auf die Entstehung des Ichs und seine Absonderung vom Esscheint noch ein anderes Moment als der Einfluss des Systems Whingewirkt zu haben. Der eigene Körper und vor allem die Oberflächedesselben ist ein Ort, von dem gleichzeitig äußere und innereWahrnehmungen ausgehen können. Er wird wie ein anderes Objektgesehen, ergibt aber dem Getast zweierlei Empfindungen, von denen dieeine einer inneren Wahrnehmung gleichkommen kann. Es ist in derPsychophysiologie hinreichend erörtert worden, auf welche Weise sichder eigene Körper aus der Wahrnehmungswelt heraushebt. Auch derSchmerz scheint dabei eine Rolle zu spielen, und die Art, wie man beischmerzhaften Erkrankungen eine neue Kenntnis seiner Organe erwirbt,ist vielleicht vorbildlich für die Art, wie man überhaupt zurVorstellung seines eigenen Körpers kommt.
Das Ich ist vor allemein körperliches, es ist nicht nur ein Oberflächenwesen, sondernselbst die Projektion einer Oberfläche. Wenn man eine anatomischeAnalogie für dasselbe sucht, kann man es am ehesten mit dem»Gehirnmännchen« der Anatomen identifizieren, das in der Hirnrindeauf dem Kopf steht, die Fersen nach oben streckt, nach hinten schautund, wie bekannt, links die Sprachzone trägt.
Das Verhältnis desIchs zum Bewusstsein ist wiederholt gewürdigt worden, doch sind hiereinige wichtige Tatsachen neu zu beschreiben. Gewöhnt, denGesichtspunkt einer sozialen oder ethischen Wertung überallhinmitzunehmen, sind wir nicht überrascht zu hören, dass das Treibender niedrigen Leidenschaften im unbewussten vor sich geht, erwartenaber, dass die seelischen Funktionen um so leichter sicheren Zugangzum Bewusstsein finden, je höher sie in dieser Wertung angesetztsind. Hier enttäuscht uns aber die psychoanalytische Erfahrung. Wirhaben einerseits Belege dafür, dass selbst feine und schwierigeintellektuelle Arbeit, die sonst angestrengtes Nachdenken erfordert,auch vorbewusst geleistet werden kann, ohne zum Bewusstsein zukommen. Diese Fälle sind ganz unzweifelhaft, sie ereignen sich zumBeispiel im Schlafzustand und äußern sich darin, dass eine Personunmittelbar nach dem Erwachen die Lösung eines schwierigenmathematischen oder anderen Problems weiß, um das sie sich am Tagevorher vergeblich bemüht hatteEin solcher Fall ist mir erstkürzlich, und zwar als Einwand gegen meine Beschreibung der»Traumarbeit«, mitgeteilt worden..
Weit befremdender ist abereine andere Erfahrung. Wir lernen in unseren Analysen, dass esPersonen gibt, bei denen die Selbstkritik und das Gewissen, alsoüberaus hochgewertete seelische Leistungen, unbewusst sind und alsunbewusst die wichtigsten Wirkungen äußern; das unbewusstbleibendes Widerstandes in der Analyse ist also keineswegs die einzigeSituation dieser Art. Die neue Erfahrung aber, die uns nötigt, trotzunserer besseren kritischen Einsicht, von einem unbewusstenSchuldgefühl zu reden, verwirrt uns weit mehr und gibt uns neueRätsel auf, besonders wenn wir allmählich erraten, dass ein solchesunbewusstes Schuldgefühl bei einer großen Anzahl von Neurosen eineökonomisch entscheidende Rolle spielt und der Heilung die stärkstenHindernisse in den Weg legt. Wollen wir zu unserer Wertskalazurückkehren, so müssen wir sagen: Nicht nur das Tiefste, auch dasHöchste am Ich kann unbewusst sein. Es ist, als würde uns auf dieseWeise demonstriert, was wir vorhin vom bewussten Ich ausgesagt haben,es sei vor allem ein Körper-Ich.

III. Das Ich und das Über-Ich (Ichideal)

Wäre das Ich nur der durch den Einfluss des Wahrnehmungssystemsmodifizierte Anteil des Es, der Vertreter der realen Außenwelt imSeelischen, so hätten wir es mit einem einfachen Sachverhalt zu tun.Allein es kommt etwas anderes hinzu.
Die Motive, die uns bewogenhaben, eine Stufe im Ich anzunehmen, eine Differenzierung innerhalbdes Ichs, die Ich-Ideal oder Über-Ich zu nennen ist,sind an anderen Orten auseinandergesetzt worden. Sie bestehen zuRechtNur dass ich die Funktion der Realitätsprüfung diesem Über-Ichzugewiesen habe, erscheint irrig und der Korrektur bedürftig. Eswürde durchaus den Beziehungen des Ichs zur Wahrnehmungsweltentsprechen, wenn die Realitätsprüfung seine eigene Aufgabe bliebe.– Auch frühere, ziemlich unbestimmt gehaltene Äußerungen übereinen Kern des Ichs sollen jetzt dahin richtiggestellt werden,dass nur das System W-Bw als Kern des Ichs anzuerkennen ist..dass dieses Stück des Ichs eine weniger feste Beziehung zumBewusstsein hat, ist die Neuheit, die nach Erklärung verlangt.
Wir müssen hier etwas weiter ausgreifen. Es war uns gelungen, dasschmerzhafte Leiden der Melancholie durch die Annahme aufzuklären,dass ein verlorenes Objekt im Ich wiederaufgerichtet, also eineObjektbesetzung durch eine Identifizierung abgelöst wird›Trauerund Melancholie‹.. Damals erkannten wir aber noch nicht die ganzeBedeutung dieses Vorganges und wussten nicht, wie häufig und typischer ist. Wir haben seither verstanden, dass solche Ersetzung einengroßen Anteil an der Gestaltung des Ichs hat und wesentlich dazubeiträgt, das herzustellen, was man seinen Charakterheißt.
Uranfänglich in der primitiven oralen Phase desIndividuums sind Objektbesetzung und Identifizierung wohl nichtvoneinander zu unterscheiden. Späterhin kann man nur annehmen, dassdie Objektbesetzungen vom Es ausgehen, welches die erotischenStrebungen als Bedürfnisse empfindet. Das anfangs noch schwächlicheIch erhält von den Objektbesetzungen Kenntnis, lässt sie sichgefallen oder sucht sie durch den Prozess der Verdrängungabzuwehren. Eine interessante Parallele zur Ersetzung der Objektwahldurch Identifizierung enthält der Glaube der Primitiven, dass dieEigenschaften des als Nahrung einverleibten Tieres dem, der es isst,als Charakter verbleiben werden, und die darauf gegründeten Verbote.Dieser Glaube geht bekanntlich auch in die Begründung desKannibalismus ein und wirkt in der Reihe der Gebräuche derTotemmahlzeit bis zur heiligen Kommunion fort. Die Folgen, die hierder oralen Objektbemächtigung zugeschrieben werden, treffen für diespätere sexuelle Objektwahl wirklich zu..
Soll oder muss einsolches Sexualobjekt aufgegeben werden, so tritt dafür nicht seltendie Ichveränderung auf, die man als Aufrichtung des Objekts im Ichwie bei der Melancholie beschreiben muss; die näheren Verhältnissedieser Ersetzung sind uns noch nicht bekannt. Vielleicht erleichtertoder ermöglicht das Ich durch diese Introjektion, die eine Art vonRegression zum Mechanismus der oralen Phase ist, das Aufgeben desObjekts. Vielleicht ist diese Identifizierung überhaupt dieBedingung, unter der das Es seine Objekte aufgibt. Jedenfalls ist derVorgang zumal in frühen Entwicklungsphasen ein sehr häufiger undkann die Auffassung ermöglichen, dass der Charakter des Ichs einNiederschlag der aufgegebenen Objektbesetzungen ist, die Geschichtedieser Objektwahlen enthält. Es ist natürlich von vorneherein eineSkala der Resistenzfähigkeit zuzugeben, inwieweit der Charaktereiner Person diese Einflüsse aus der Geschichte der erotischenObjektwahlen abwehrt oder annimmt. Bei Frauen, die vielLiebeserfahrungen gehabt haben, glaubt man, die Rückstände ihrerObjektbesetzungen in ihren Charakterzügen leicht nachweisen zukönnen. Auch eine Gleichzeitigkeit von Objektbesetzung undIdentifizierung, also eine Charakterveränderung, ehe das Objektaufgegeben worden ist, kommt in Betracht. In diesem Fall könnte dieCharakterveränderung die Objektbeziehung überleben und sie ingewissem Sinne konservieren.
Ein anderer Gesichtspunkt besagt,dass diese Umsetzung einer erotischen Objektwahl in eineIchveränderung auch ein Weg ist, wie das Ich das Es bemeistern undseine Beziehungen zu ihm vertiefen kann, allerdings auf Kosten einerweitgehenden Gefügigkeit gegen dessen Erlebnisse. Wenn das Ich dieZüge des Objektes annimmt, drängt es sich sozusagen selbst dem Esals Liebesobjekt auf, sucht ihm seinen Verlust zu ersetzen, indem essagt: »Sieh', du kannst auch mich lieben, ich bin dem Objekt soähnlich.«
Die Umsetzung von Objektlibido in narzisstischeLibido, die hier vor sich geht, bringt offenbar ein Aufgeben derSexualziele, eine Desexualisierung mit sich, also eine Art vonSublimierung. Ja, es entsteht die eingehender Behandlung würdigeFrage, ob dies nicht der allgemeine Weg zur Sublimierung ist, obnicht alle Sublimierung durch die Vermittlung des Ichs vor sich geht,welches zunächst die sexuelle Objektlibido in narzisstischeverwandelt, um ihr dann vielleicht ein anderes Ziel zu setzenAls dasgroße Reservoir der Libido, im Sinne der Einführung des Narzissmus,müssen wir jetzt nach der Scheidung von Ich und Es das Esanerkennen. Die Libido, welche dem Ich durch die beschriebenenIdentifizierungen zufließt, stellt dessen »sekundärenNarzissmus« her. Ob diese Verwandlung nicht auch andereTriebschicksale zur Folge haben kann, zum Beispiel eine Entmischungder verschiedenen miteinander verschmolzenen Triebe herbeizuführen,wird uns noch später beschäftigen.
Es ist eine Abschweifung vonunserem Ziel und doch nicht zu vermeiden, dass wir unsereAufmerksamkeit für einen Moment bei den Objektidentifizierungen desIchs verweilen lassen. Nehmen diese überhand, werden allzu zahlreichund überstark und miteinander unverträglich, so liegt einpathologisches Ergebnis nahe. Es kann zu einer Aufsplitterung desIchs kommen, indem sich die einzelnen Identifizierungen durchWiderstände gegeneinander abschließen, und vielleicht ist es dasGeheimnis der Fälle von sogenannter multipler Persönlichkeit,dass die einzelnen Identifizierungen alternierend das Bewusstsein ansich reißen. Auch wenn es nicht so weit kommt, ergibt sich das Themader Konflikte zwischen den verschiedenen Identifizierungen, in diedas Ich auseinander fährt, Konflikte, die endlich nicht durchwegsals pathologische bezeichnet werden können.
Wie immer sich aberdie spätere Resistenz des Charakters gegen die Einflüsseaufgegebener Objektbesetzungen gestalten mag, die Wirkungen derersten, im frühesten Alter erfolgten Identifizierungen werdenallgemeine und nachhaltige sein. Dies führt uns zur Entstehung desIchideals zurück, denn hinter ihm verbirgt sich die erste undbedeutsamste Identifizierung des Individuums, die mit dem Vater derpersönlichen VorzeitVielleicht wäre es vorsichtiger zu sagen, mitden Eltern, denn Vater und Mutter werden vor der sicheren Kenntnisdes Geschlechtsunterschiedes, des Penismangels, nicht verschiedengewertet. In der Geschichte einer jungen Frau hatte ich kürzlichGelegenheit zu erfahren, dass sie, seitdem sie ihren eigenenPenismangel bemerkt, den Besitz dieses Organs nicht allen Frauen,sondern bloß den für minderwertig gehaltenen aberkannt hatte. DieMutter hatte ihn in ihrer Meinung behalten. Der einfacherenDarstellung wegen werde ich nur die Identifizierung mit dem Vaterbehandeln.. Diese scheint zunächst nicht Erfolg oder Ausgang einerObjektbesetzung zu sein, sie ist eine direkte und unmittelbare undfrühzeitiger als jede Objektbesetzung. Aber die Objektwahlen, dieder ersten Sexualperiode angehören und Vater und Mutter betreffen,scheinen beim normalen Ablauf den Ausgang in solche Identifizierungzu nehmen und somit die primäre Identifizierung zuverstärken.

Immerhin sind diese Beziehungen so kompliziert, dasses notwendig wird, sie eingehender zu beschreiben. Es sind zweiMomente, welche diese Komplikation verschulden, die dreieckige Anlagedes Ödipusverhältnisses und die konstitutionelle Bisexualität desIndividuums.
Der vereinfachte Fall gestaltet sich für dasmännliche Kind in folgender Weise: Ganz frühzeitig entwickelt esfür die Mutter eine Objektbesetzung, die von der Mutterbrust ihrenAusgang nimmt und das vorbildliche Beispiel einer Objektwahl nach demAnlehnungstypus zeigt; des Vaters bemächtigt sich der Knabe durchIdentifizierung. Die beiden Beziehungen gehen eine Weilenebeneinander her, bis durch die Verstärkung der sexuellen Wünschenach der Mutter und die Wahrnehmung, dass der Vater diesen Wünschenein Hindernis ist, der Ödipuskomplex entstehtVgl. Massenpsychologieund Ich-Analyse (loc. cit.).. Die Vateridentifizierung nimmt nuneine feindselige Tönung an, sie wendet sich zum Wunsch, den Vater zubeseitigen, um ihn bei der Mutter zu ersetzen. Von da an ist dasVerhältnis zum Vater ambivalent; es scheint, als ob die in derIdentifizierung von Anfang an enthaltene Ambivalenz manifest gewordenwäre. Die ambivalente Einstellung zum Vater und die nur zärtlicheObjektstrebung nach der Mutter beschreiben für den Knaben den Inhaltdes einfachen, positiven Ödipuskomplexes.
Bei der Zertrümmerungdes Ödipuskomplexes muss die Objektbesetzung der Mutter aufgegebenwerden. An ihre Stelle kann zweierlei treten, entweder eineIdentifizierung mit der Mutter oder eine Verstärkung derVateridentifizierung. Den letzteren Ausgang pflegen wir als dennormaleren anzusehen, er gestattet es, die zärtliche Beziehung zurMutter in gewissem Maße festzuhalten. Durch den Untergang desÖdipuskomplexes hätte so die Männlichkeit im Charakter des Knabeneine Festigung erfahren. In ganz analoger Weise kann dieÖdipuseinstellung des kleinen Mädchens in eine Verstärkung ihrerMutteridentifizierung (oder in die Herstellung einer solchen)auslaufen, die den weiblichen Charakter des Kindes festlegt.
DieseIdentifizierungen entsprechen nicht unserer Erwartung, denn sieführen nicht das aufgegebene Objekt ins Ich ein, aber auch dieserAusgang kommt vor und ist bei Mädchen leichter zu beobachten als beiKnaben. Man erfährt sehr häufig aus der Analyse, dass das kleineMädchen, nachdem es auf den Vater als Liebesobjekt verzichtenmusste, nun seine Männlichkeit hervorholt und sich anstatt mit derMutter, mit dem Vater, also mit dem verlorenen Objekt, identifiziert.Es kommt dabei offenbar darauf an, ob ihre männlichen Anlagen starkgenug sind – worin immer diese bestehen mögen.
Der Ausgang derÖdipussituation in Vater- oder in Mutteridentifizierung scheint alsobei beiden Geschlechtern von der relativen Stärke der beidenGeschlechtsanlagen abzuhängen. Dies ist die eine Art, wie sich dieBisexualität in die Schicksale des Ödipuskomplexes einmengt. Dieandere ist noch bedeutsamer. Man gewinnt nämlich den Eindruck, dassder einfache Ödipuskomplex überhaupt nicht das häufigste ist,sondern einer Vereinfachung oder Schematisierung entspricht, dieallerdings oft genug praktisch gerechtfertigt bleibt. EingehendereUntersuchung deckt zumeist den vollständigeren Ödipuskomplexauf, der ein zweifacher ist, ein positiver und ein negativer,abhängig von der ursprünglichen Bisexualität des Kindes, d.h. derKnabe hat nicht nur eine ambivalente Einstellung zum Vater und einezärtliche Objektwahl für die Mutter, sondern er benimmt sich auchgleichzeitig wie ein Mädchen, er zeigt die zärtliche feminineEinstellung zum Vater und die ihr entsprechendeeifersüchtig-feindselige gegen die Mutter. Dieses Eingreifen derBisexualität macht es so schwer, die Verhältnisse der primitivenObjektwahlen und Identifizierungen zu durchschauen, und nochschwieriger, sie fasslich zu beschreiben. Es könnte auch sein, dassdie im Elternverhältnis konstatierte Ambivalenz durchaus auf dieBisexualität zu beziehen wäre und nicht, wie ich es vorhindargestellt, durch die Rivalitätseinstellung aus der Identifizierungentwickelt würde.
Ich meine, man tut gut daran, im allgemeinenund ganz besonders bei Neurotikern die Existenz des vollständigenÖdipuskomplexes anzunehmen. Die analytische Erfahrung zeigt dann,dass bei einer Anzahl von Fällen der eine oder der andereBestandteil desselben bis auf kaum merkliche Spuren schwindet, sodass sich eine Reihe ergibt, an deren einem Ende der normale,positive, an deren anderem Ende der umgekehrte, negativeÖdipuskomplex steht, während die Mittelglieder die vollständigeForm mit ungleicher Beteiligung der beiden Komponenten aufzeigen.Beim Untergang des Ödipuskomplexes werden die vier in ihmenthaltenen Strebungen sich derart zusammenlegen, dass aus ihnen eineVater- und eine Mutteridentifizierung hervorgeht, dieVateridentifizierung wird das Mutterobjekt des positiven Komplexesfesthalten und gleichzeitig das Vaterobjekt des umgekehrten Komplexesersetzen; Analoges wird für die Mutteridentifizierung gelten. In derverschieden starken Ausprägung der beiden Identifizierungen wirdsich die Ungleichheit der beiden geschlechtlichen Anlagenspiegeln.
So kann man als allgemeinstes Ergebnis der vomÖdipuskomplex beherrschten Sexualphase einen Niederschlag im Ichannehmen, welcher in der Herstellung dieser beiden, irgendwiemiteinander vereinbarten Identifizierungen besteht. DieseIchveränderung behält ihre Sonderstellung, sie tritt dem anderenInhalt des Ichs als Ichideal oder Über-Ich entgegen.
DasÜber-Ich ist aber nicht einfach ein Residuum der ersten Objektwahlendes Es, sondern es hat auch die Bedeutung einer energischenReaktionsbildung gegen dieselben. Seine Beziehung zum Ich erschöpftsich nicht in der Mahnung: »So (wie der Vater) sollst dusein«, sie umfasst auch das Verbot: »So (wie der Vater) darfstdu nicht sein, das heißt nicht alles tun, was er tut; manchesbleibt ihm vorbehalten.« Dies Doppelangesicht des Ichideals leitetsich aus der Tatsache ab, dass das Ichideal zur Verdrängung desÖdipuskomplexes bemüht wurde, ja, diesem Umschwung erst seineEntstehung dankt. Die Verdrängung des Ödipuskomplexes ist offenbarkeine leichte Aufgabe gewesen. Da die Eltern, besonders der Vater,als das Hindernis gegen die Verwirklichung der Ödipuswünscheerkannt werden, stärkte sich das infantile Ich für dieseVerdrängungsleistung, indem es dies selbe Hindernis in sichaufrichtete. Es lieh sich gewissermaßen die Kraft dazu vom Vateraus, und diese Anleihe ist ein außerordentlich folgenschwerer Akt.Das Über-Ich wird den Charakter des Vaters bewahren, und je stärkerder Ödipuskomplex war, je beschleunigter (unter dem Einfluss vonAutorität, Religionslehre, Unterricht, Lektüre) seine Verdrängungerfolgte, desto strenger wird später das Über-Ich als Gewissen,vielleicht als unbewusstes Schuldgefühl über das Ich herrschen. –Woher es die Kraft zu dieser Herrschaft bezieht, den zwangsartigenCharakter, der sich als kategorischer Imperativ äußert, darüberwerde ich später eine Vermutung vorbringen.
Fassen wir diebeschriebene Entstehung des Über-Ichs nochmals ins Auge, so erkennenwir es als das Ergebnis zweier höchst bedeutsamer biologischerFaktoren, der langen kindlichen Hilflosigkeit und Abhängigkeit desMenschen und der Tatsache seines Ödipuskomplexes, den wir ja auf dieUnterbrechung der Libidoentwicklung durch die Latenzzeit, somit aufden zweizeitigen Ansatz seines Sexuallebens zurückgeführthaben. Letztere, wie es scheint, spezifisch menschlicheEigentümlichkeit hat eine psychoanalytische Hypothese als Erbteilder durch die Eiszeit erzwungenen Entwicklung zur Kultur hingestellt.Somit ist die Sonderung des Über-Ichs vom Ich nichts Zufälliges,sie vertritt die bedeutsamsten Züge der individuellen und derArtentwicklung, ja, indem sie dem ElternEinfluss einen dauerndenAusdruck schafft, verewigt sie die Existenz der Momente, denen sieihren Ursprung verdankt.
Es ist der Psychoanalyse unzählige Malezum Vorwurf gemacht worden, dass sie sich um das Höhere, Moralische,Überpersönliche im Menschen nicht kümmere. Der Vorwurf war doppeltungerecht, historisch wie methodisch. Ersteres, da von Anbeginn anden moralischen und ästhetischen Tendenzen im Ich der Antrieb zurVerdrängung zugeteilt wurde, letzteres, da man nicht einsehenwollte, dass die psychoanalytische Forschung nicht wie einphilosophisches System mit einem vollständigen und fertigenLehrgebäude auftreten konnte, sondern sich den Weg zum Verständnisder seelischen Komplikationen schrittweise durch die analytischeZergliederung normaler wie abnormer Phänomene bahnen musste. Wirbrauchten die zitternde Besorgnis um den Verbleib des Höheren imMenschen nicht zu teilen, solange wir uns mit dem Studium desVerdrängten im Seelenleben zu beschäftigen hatten. Nun, da wir unsan die Analyse des Ichs heranwagen, können wir all denen, welche, inihrem sittlichen Bewusstsein erschüttert, geklagt haben, es mussdoch ein höheres Wesen im Menschen geben, antworten: »Gewiss, unddies ist das höhere Wesen, das Ichideal oder Über-Ich, dieRepräsentanz unserer Elternbeziehung. Als kleine Kinder haben wirdiese höheren Wesen gekannt, bewundert, gefürchtet, später sie inuns selbst aufgenommen.«
Das Ichideal ist also der Erbe desÖdipuskomplexes und somit Ausdruck der mächtigsten Regungen undwichtigsten Libidoschicksale des Es. Durch seine Aufrichtung hat sichdas Ich des Ödipuskomplexes bemächtigt und gleichzeitig sich selbstdem Es unterworfen. Während das Ich wesentlich Repräsentant derAußenwelt, der Realität ist, tritt ihm das Über-Ich als Anwalt derInnenwelt, des Es, gegenüber. Konflikte zwischen Ich und Idealwerden, darauf sind wir nun vorbereitet, in letzter Linie denGegensatz von Real und Psychisch, Außenwelt und Innenwelt,widerspiegeln.
Was die Biologie und die Schicksale der Menschenartim Es geschaffen und hinterlassen haben, das wird durch dieIdealbildung vom Ich übernommen und an ihm individuell wiedererlebt.Das Ichideal hat infolge seiner Bildungsgeschichte die ausgiebigsteVerknüpfung mit dem phylogenetischen Erwerb, der archaischenErbschaft, des einzelnen. Was im einzelnen Seelenleben dem Tiefstenangehört hat, wird durch die Idealbildung zum Höchsten derMenschenseele im Sinne unserer Wertungen. Es wäre aber einvergebliches Bemühen, das Ichideal auch nur in ähnlicher Weise wiedas Ich zu lokalisieren oder es in eines der Gleichnisse einzupassen,durch welche wir die Beziehung von Ich und Es nachzubildenversuchten.
Es ist leicht zu zeigen, dass das Ichideal allenAnsprüchen genügt, die an das höhere Wesen im Menschen gestelltwerden. Als Ersatzbildung für die Vatersehnsucht enthält es denKeim, aus dem sich alle Religionen gebildet haben. Das Urteil dereigenen Unzulänglichkeit im Vergleich des Ichs mit seinem Idealergibt das demütige religiöse Empfinden, auf das sich dersehnsüchtig Gläubige beruft. Im weiteren Verlauf der Entwicklunghaben Lehrer und Autoritäten die Vaterrolle fortgeführt; derenGebote und Verbote sind im Ideal-Ich mächtig geblieben und übenjetzt als Gewissen die moralische Zensur aus. Die Spannungzwischen den Ansprüchen des Gewissens und den Leistungen des Ichswird als Schuldgefühl empfunden. Die sozialen Gefühle ruhenauf Identifizierungen mit anderen auf Grund des gleichenIchideals.
Religion, Moral und soziales Empfinden – dieseHauptinhalte des Höheren im MenschenWissenschaft und Kunst sind hierbeiseite gelassen. – sind ursprünglich eins gewesen. Nach derHypothese von Totem und Tabu wurden sie phylogenetisch amVaterkomplex erworben, Religion und sittliche Beschränkung durch dieBewältigung des eigentlichen Ödipuskomplexes, die sozialen Gefühledurch die Nötigung zur Überwindung der erübrigenden Rivalitätunter den Mitgliedern der jungen Generation. In all diesen sittlichenErwerbungen scheint das Geschlecht der Männer vorangegangen zu sein,gekreuzte Vererbung hat den Besitz auch den Frauen zugeführt. Diesozialen Gefühle entstehen noch heute beim einzelnen als Überbauüber die eifersüchtigen Rivalitätsregungen gegen die Geschwister.Da die Feindseligkeit nicht zu befriedigen ist, stellt sich eineIdentifizierung mit dem anfänglichen Rivalen her. Beobachtungen anmilden Homosexuellen stützen die Vermutung, dass auch dieseIdentifizierung Ersatz einer zärtlichen Objektwahl ist, welche dieaggressiv-feindselige Einstellung abgelöst hatVgl. Massenpsychologieund Ich-Analyse. – ›Über einige neurotische Mechanismen beiEifersucht, Paranoia und Homosexualität‹..
Mit der Erwähnungder Phylogenese tauchen aber neue Probleme auf, vor derenBeantwortung man zaghaft zurückweichen möchte. Aber es hilft wohlnichts, man muss den Versuch wagen, auch wenn man fürchtet, dass erdie Unzulänglichkeit unserer ganzen Bemühung bloßstellen wird. DieFrage lautet: Wer hat seinerzeit Religion und Sittlichkeit amVaterkomplex erworben, das Ich des Primitiven oder sein Es? Wenn esdas Ich war, warum sprechen wir nicht einfach von einer Vererbung imIch? Wenn das Es, wie stimmt das zum Charakter des Es? Oder darf mandie Differenzierung in Ich, Über-Ich und Es nicht in so früheZeiten tragen? Oder soll man nicht ehrlich eingestehen, dass dieganze Auffassung der Ichvorgänge nichts fürs Verständnis derPhylogenese leistet und auf sie nicht anwendbar ist?
Beantwortenwir zuerst, was sich am leichtesten beantworten lässt. DieDifferenzierung von Ich und Es müssen wir nicht nur den primitivenMenschen, sondern noch viel einfacheren Lebewesen zuerkennen, da sieder notwendige Ausdruck des Einflusses der Außenwelt ist. DasÜber-Ich ließen wir gerade aus jenen Erlebnissen, die zumTotemismus führten, entstehen. Die Frage, ob das Ich oder das Esjene Erfahrungen und Erwerbungen gemacht haben, fällt bald in sichzusammen. Die nächste Erwägung sagt uns, dass das Es kein äußeresSchicksal erleben oder erfahren kann außer durch das Ich,welches die Außenwelt bei ihm vertritt. Von einer direkten Vererbungim Ich kann man aber doch nicht reden. Hier tut sich die Kluftauf zwischen dem realen Individuum und dem Begriff der Art. Auch darfman den Unterschied von Ich und Es nicht zu starr nehmen, nichtvergessen, dass das Ich ein besonders differenzierter Anteil des Esist. Die Erlebnisse des Ichs scheinen zunächst für die Erbschaftverlorenzugehen, wenn sie sich aber häufig und stark genug beivielen generationsweise aufeinanderfolgenden Individuen wiederholen,setzen sie sich sozusagen in Erlebnisse des Es um, deren Eindrückedurch Vererbung festgehalten werden. Somit beherbergt das erbliche Esin sich die Reste ungezählt vieler Ich-Existenzen, und wenn das Ichsein Über-Ich aus dem Es schöpft, bringt es vielleicht nur ältereIchgestaltungen wieder zum Vorschein, schafft ihnen eineAuferstehung.
Die Entstehungsgeschichte des Über-Ichs macht esverständlich, dass frühe Konflikte des Ichs mit denObjektbesetzungen des Es sich in Konflikte mit deren Erben, demÜber-Ich, fortsetzen können. Wenn dem Ich die Bewältigung desÖdipuskomplexes schlecht gelungen ist, wird dessen dem Esentstammende Energiebesetzung in der Reaktionsbildung des Ichidealswieder zur Wirkung kommen. Die ausgiebige Kommunikation dieses Idealsmit diesen ubw Triebregungen wird das Rätsel lösen, dass dasIdeal selbst zum großen Teil unbewusst, dem Ich unzugänglichbleiben kann. Der Kampf, der in tieferen Schichten getobt hatte,durch rasche Sublimierung und Identifizierung nicht zum Abschlussgekommen war, setzt sich nun wie auf dem Kaulbachschen Gemälde derHunnenschlacht in einer höheren Region fort.

IV. Die beiden Triebarten

Wir sagten bereits, wenn unsere Gliederung des seelischen Wesensin ein Es, ein Ich und ein Über-Ich einen Fortschritt in unsererEinsicht bedeutet, so muss sie sich auch als Mittel zum tieferenVerständnis und zur besseren Beschreibung der dynamischenBeziehungen im Seelenleben erweisen. Wir haben uns auch bereitsklargemacht, dass das Ich unter dem besonderen Einfluss derWahrnehmung steht und dass man im rohen sagen kann, die Wahrnehmungenhaben für das Ich dieselbe Bedeutung wie die Triebe für das Es.Dabei unterliegt aber auch das Ich der Einwirkung der Triebe wie dasEs, von dem es ja nur ein besonders modifizierter Anteil ist.
Überdie Triebe habe ich kürzlich (Jenseits des Lustprinzips) eineAnschauung entwickelt, die ich hier festhalten und den weiterenErörterungen zugrunde legen werde. dass man zwei Triebarten zuunterscheiden hat, von denen die eine, Sexualtriebe oder Eros,die bei weitem auffälligere und der Kenntnis zugänglichere ist. Sieumfasst nicht nur den eigentlichen ungehemmten Sexualtrieb und dievon ihm abgeleiteten zielgehemmten und sublimierten Triebregungen,sondern auch den Selbsterhaltungstrieb, den wir dem Ich zuschreibenmüssen und den wir zu Anfang der analytischen Arbeit mit gutenGründen den sexuellen Objekttrieben gegenübergestellt hatten. Diezweite Triebart aufzuzeigen bereitete uns Schwierigkeiten; endlichkamen wir darauf, den Sadismus als Repräsentanten derselbenanzusehen. Auf Grund theoretischer, durch die Biologie gestützterÜberlegungen supponierten wir einen Todestrieb, dem dieAufgabe gestellt ist, das organische Lebende in den leblosen Zustandzurückzuführen, während der Eros das Ziel verfolgt, das Lebendurch immer weitergreifende Zusammenfassung der in Partikelzersprengten lebenden Substanz zu komplizieren, natürlich es dabeizu erhalten. Beide Triebe benehmen sich dabei im strengsten Sinnekonservativ, indem sie die Wiederherstellung eines durch dieEntstehung des Lebens gestörten Zustandes anstreben. Die Entstehungdes Lebens wäre also die Ursache des Weiterlebens und gleichzeitigauch des Strebens nach dem Tode, das Leben selbst ein Kampf undKompromiss zwischen diesen beiden Strebungen. Die Frage nach derHerkunft des Lebens bliebe eine kosmologische, die nach Zweck undAbsicht des Lebens wäre dualistisch beantwortet.
Jederdieser beiden Triebarten wäre ein besonderer physiologischer Prozess(Aufbau und Zerfall) zugeordnet, in jedem Stück lebender Substanzwären beiderlei Triebe tätig, aber doch in ungleicher Mischung, sodass eine Substanz die Hauptvertretung des Eros übernehmenkönnte.
In welcher Weise sich Triebe der beiden Arten miteinanderverbinden, vermischen, legieren, wäre noch ganz unvorstellbar; dassdies aber regelmäßig und in großem Ausmaß geschieht, ist eine inunserem Zusammenhang unabweisbare Annahme. Infolge der Verbindung dereinzelligen Elementarorganismen zu mehrzelligen Lebewesen wäre esgelungen, den Todestrieb der Einzelzelle zu neutralisieren und diedestruktiven Regungen durch Vermittlung eines besonderen Organs aufdie Außenwelt abzuleiten. Dies Organ wäre die Muskulatur, und derTodestrieb würde sich nun – wahrscheinlich doch nur teilweise –als Destruktionstrieb gegen die Außenwelt und andereLebewesen äußern.
Haben wir einmal die Vorstellung von einerMischung der beiden Triebarten angenommen, so drängt sich uns auchdie Möglichkeit einer – mehr oder minder vollständigen –Entmischung derselben auf. In der sadistischen Komponente desSexualtriebes hätten wir ein klassisches Beispiel einerzweckdienlichen Triebmischung vor uns, im selbständig gewordenenSadismus als Perversion das Vorbild einer, allerdings nichtbis zum äußersten getriebenen Entmischung. Es eröffnet sich unsdann ein Einblick in ein großes Gebiet von Tatsachen, welches nochnicht in diesem Licht betrachtet worden ist. Wir erkennen, dass derDestruktionstrieb regelmäßig zu Zwecken der Abfuhr in denDienst des Eros gestellt ist, ahnen, dass der epileptische AnfallProdukt und Anzeichen einer Triebentmischung ist, und lernenverstehen, dass unter den Erfolgen mancher schweren Neurosen, zumBeispiel der Zwangsneurosen, die Triebentmischung und dasHervortreten des Todestriebes eine besondere Würdigung verdient. Inrascher Verallgemeinerung möchten wir vermuten, dass das Wesen einerLibidoregression, zum Beispiel von der genitalen zursadistisch-analen Phase, auf einer Triebentmischung beruht, wieumgekehrt der Fortschritt von der früheren zur definitivenGenitalphase einen Zuschuss von erotischen Komponenten zur Bedingunghat. Es erhebt sich auch die Frage, ob nicht die reguläreAmbivalenz, die wir in der konstitutionellen Anlage zurNeurose so oft verstärkt finden, als Ergebnis einer Entmischungaufgefasst werden darf; allein diese ist so ursprünglich, dass sievielmehr als nicht vollzogene Triebmischung gelten muss.
UnserInteresse wird sich natürlich den Fragen zuwenden, ob sich nichtaufschlussreiche Beziehungen zwischen den angenommenen Bildungen desIchs, Über-Ichs und des Es einerseits, den beiden Triebartenanderseits auffinden lassen, ferner, ob wir dem die seelischenVorgänge beherrschenden Lustprinzip eine feste Stellung zu denbeiden Triebarten und den seelischen Differenzierungen zuweisenkönnen. Ehe wir aber in diese Diskussion eintreten, haben wir einenZweifel zu erledigen, der sich gegen die Problemstellung selbstrichtet. Am Lustprinzip ist zwar kein Zweifel, die Gliederung desIchs ruht auf klinischer Rechtfertigung, aber die Unterscheidung derbeiden Triebarten scheint nicht genug gesichert, und möglicherweiseheben Tatsachen der klinischen Analyse ihren Anspruch auf.
Einesolche Tatsache scheint es zu geben. Für den Gegensatz der beidenTriebarten dürfen wir die Polarität von Liebe und Hass einsetzen.Um eine Repräsentanz des Eros sind wir ja nicht verlegen, dagegensehr zufrieden, dass wir für den schwer zu fassenden Todestrieb imDestruktionstrieb, dem der Hass den Weg zeigt, einen Vertreteraufzeigen können. Nun lehrt uns die klinische Beobachtung, dass derHass nicht nur der unerwartet regelmäßige Begleiter der Liebe ist(Ambivalenz), nicht nur häufig ihr Vorläufer in menschlichenBeziehungen, sondern auch, dass Hass sich unter mancherleiVerhältnissen in Liebe und Liebe in Hass verwandelt. Wenn dieseVerwandlung mehr ist als bloß zeitliche Sukzession, also Ablösung,dann ist offenbar einer so grundlegenden Unterscheidung wie zwischenerotischen und Todestrieben, die entgegengesetzt laufendephysiologische Vorgänge voraussetzt, der Boden entzogen.
Nun derFall, dass man dieselbe Person zuerst liebt und dann Hasst, oderumgekehrt, wenn sie einem die Anlässe dazu gegeben hat, gehörtoffenbar nicht zu unserem Problem. Auch nicht der andere, dass einenoch nicht manifeste Verliebtheit sich zuerst durch Feindseligkeitund Aggressionsneigung äußert, denn die destruktive Komponentekönnte da bei der Objektbesetzung vorangeeilt sein, bis dieerotische sich zu ihr gesellt. Aber wir kennen mehrere Fälle aus derPsychologie der Neurosen, in denen die Annahme einer Verwandlungnäherliegt. Bei der Paranoia persecutoria erwehrt sich derKranke einer überstarken homosexuellen Bindung an eine bestimmtePerson auf eine gewisse Weise, und das Ergebnis ist, dass diesegeliebteste Person zum Verfolger wird, gegen den sich die oftgefährliche Aggression des Kranken richtet. Wir haben das Rechteinzuschalten, dass eine Phase vorher die Liebe in Hass umgewandelthatte. Bei der Entstehung der Homosexualität, aber auch derdesexualisierten sozialen Gefühle lehrte uns die analytischeUntersuchung erst neuerdings die Existenz von heftigen, zuAggressionsneigung führenden Gefühlen der Rivalität kennen, nachderen Überwindung erst das früher geHasste Objekt zum geliebtenoder zum Gegenstand einer Identifizierung wird. Die Frage erhebtsich, ob für diese Fälle eine direkte Umsetzung von Hass in Liebeanzunehmen ist. Hier handelt es sich ja um rein innerlicheÄnderungen, an denen ein geändertes Benehmen des Objekts keinenAnteil hat.
Die analytische Untersuchung des Vorganges bei derparanoischen Umwandlung macht uns aber mit der Möglichkeit einesanderen Mechanismus vertraut. Es ist von Anfang an eine ambivalenteEinstellung vorhanden, und die Verwandlung geschieht durch einereaktive Besetzungsverschiebung, indem der erotischen Regung Energieentzogen und der feindseligen Energie zugeführt wird.
Nicht dasnämliche, aber ähnliches geschieht bei der Überwindung derfeindseligen Rivalität, die zur Homosexualität führt. Diefeindselige Einstellung hat keine Aussicht auf Befriedigung, daher –aus ökonomischen Motiven also – wird sie von der Liebeseinstellungabgelöst, welche mehr Aussicht auf Befriedigung, das istAbfuhrmöglichkeit, bietet. Somit brauchen wir für keinen dieserFälle eine direkte Verwandlung von Hass in Liebe, die mit derqualitativen Verschiedenheit der beiden Triebarten unverträglichwäre, anzunehmen.
Wir bemerken aber, dass wir bei derInanspruchnahme dieses anderen Mechanismus der Umwandlung von Liebein Hass stillschweigend eine andere Annahme gemacht haben, die lautzu werden verdient. Wir haben so geschaltet, als gäbe es imSeelenleben – unentschieden, ob im Ich oder im Es – eineverschiebbare Energie, die, an sich indifferent, zu einer qualitativdifferenzierten erotischen oder destruktiven Regung hinzutreten undderen Gesamtbesetzung erhöhen kann. Ohne die Annahme einer solchenverschiebbaren Energie kommen wir überhaupt nicht aus. Es fragt sichnur, woher sie stammt, wem sie zugehört und was sie bedeutet.
DasProblem der Qualität der Triebregungen und deren Erhaltung bei denverschiedenen Triebschicksalen ist noch sehr dunkel und derzeit kaumin Angriff genommen. An den sexuellen Partialtrieben, die derBeobachtung besonders gut zugänglich sind, kann man einige Vorgänge,die in denselben Rahmen gehören, feststellen, zum Beispiel dass diePartialtriebe gewissermaßen miteinander kommunizieren, dass einTrieb aus einer besonderen erogenen Quelle seine Intensität zurVerstärkung eines Partialtriebes aus anderer Quelle abgeben kann,dass die Befriedigung des einen Triebes einem anderen dieBefriedigung ersetzt und dergleichen mehr, was einem Mut machen muss,Annahmen gewisser Art zu wagen.
Ich habe auch in der vorliegendenDiskussion nur eine Annahme, nicht einen Beweis zu bieten. Eserscheint plausibel, dass diese wohl im Ich und im Es tätige,verschiebbare und indifferente Energie dem narzisstischenLibidovorrat entstammt, also desexualisierter Eros ist. Dieerotischen Triebe erscheinen uns ja überhaupt plastischer,ablenkbarer und verschiebbarer als die Destruktionstriebe. Dann kannman ohne Zwang fortsetzen, dass diese verschiebbare Libido im Dienstdes Lustprinzips arbeitet, um Stauungen zu vermeiden und Abfuhren zuerleichtern. Dabei ist eine gewisse Gleichgültigkeit, auf welchemWege die Abfuhr geschieht, wenn sie nur überhaupt geschieht,unverkennbar. Wir kennen diesen Zug als charakteristisch für dieBesetzungsvorgänge im Es. Er findet sich bei den erotischenBesetzungen, wobei eine besondere Gleichgültigkeit in bezug auf dasObjekt entwickelt wird, ganz besonders bei den Übertragungen in derAnalyse, die vollzogen werden müssen, gleichgültig auf welchePersonen. Rank hat kürzlich schöne Beispiele dafür gebracht, dassneurotische Racheaktionen gegen die unrichtigen Personen gerichtetwerden. Man muss bei diesem Verhalten des unbewussten an die komischverwertete Anekdote denken, dass einer der drei Dorfschneider gehängtwerden soll, weil der einzige Dorfschmied ein todwürdiges Verbrechenbegangen hat. Strafe muss eben sein, auch wenn sie nicht denSchuldigen trifft. Die nämliche Lockerheit haben wir zuerst an denVerschiebungen des Primärvorganges in der Traumarbeit bemerkt. Wiehier die Objekte, so wären es in dem uns beschäftigenden Falle dieWege der Abfuhraktion, die erst in zweiter Linie in Betracht kommen.Dem Ich würde es ähnlich sehen, auf größerer Exaktheit in derAuswahl des Objekts wie des Weges der Abfuhr zu bestehen.
Wenndiese Verschiebungsenergie desexualisierte Libido ist, so darf sieauch sublimiert heißen, denn sie würde noch immer an derHauptabsicht des Eros, zu vereinigen und zu binden, festhalten, indemsie zur Herstellung jener Einheitlichkeit dient, durch die – oderdurch das Streben nach welcher – das Ich sich auszeichnet.Schließen wir die Denkvorgänge im weiteren Sinne unter dieseVerschiebungen ein, so wird eben auch die Denkarbeit durchSublimierung erotischer Triebkraft bestritten.
Hier stehen wirwieder vor der früher berührten Möglichkeit, dass die Sublimierungregelmäßig durch die Vermittlung des Ichs vor sich geht. Wirerinnern den anderen Fall, dass dies Ich die ersten und gewiss auchspätere Objektbesetzungen des Es dadurch erledigt, dass es derenLibido ins Ich aufnimmt und an die durch Identifizierung hergestellteIchveränderung bindet. Mit dieser Umsetzung in Ichlibido istnatürlich ein Aufgeben der Sexualziele, eine Desexualisierung,verbunden. Jedenfalls erhalten wir so Einsicht in eine wichtigeLeistung des Ichs in seinem Verhältnis zum Eros. Indem es sich insolcher Weise der Libido der Objektbesetzungen bemächtigt, sich zumalleinigen Liebesobjekt aufwirft, die Libido des Es desexualisiertoder sublimiert, arbeitet es den Absichten des Eros entgegen, stelltsich in den Dienst der gegnerischen Triebregungen. Einen anderenAnteil der Es-Objektbesetzungen muss es sich gefallen lassen,sozusagen mitmachen. Auf eine andere mögliche Folge dieserIchtätigkeit werden wir später zu sprechen kommen.
An der Lehrevom Narzissmus wäre nun eine wichtige Ausgestaltung vorzunehmen. ZuUranfang ist alle Libido im Es angehäuft, während das Ich noch inder Bildung begriffen oder schwächlich ist. Das Es sendet einen Teildieser Libido auf erotische Objektbesetzungen aus, worauf daserstarkte Ich sich dieser Objektlibido zu bemächtigen und sich demEs als Liebesobjekt aufzudrängen sucht. Der Narzissmus des Ichs istso ein sekundärer, den Objekten entzogener.
Immer wieder machenwir die Erfahrung, dass die Triebregungen, die wir verfolgen können,sich als Abkömmlinge des Eros enthüllen. Wären nicht die imJenseits des Lustprinzips angestellten Erwägungen und endlichdie sadistischen Beiträge zum Eros, so hätten wir es schwer, an derdualistischen Grundanschauung festzuhalten. Da wir aber dazu genötigtsind, müssen wir den Eindruck gewinnen, dass die Todestriebe imwesentlichen stumm sind und der Lärm des Lebens meist vom ErosausgehtNach unserer Auffassung sind ja die nach außen gerichtetenDestruktionstriebe durch Vermittlung des Eros vom eigenen Selbstabgelenkt worden..
Und vom Kampf gegen den Eros! Es ist dieAnschauung nicht abzuweisen, dass das Lustprinzip dem Es als einKompaß im Kampf gegen die Libido dient, die Störungen in denLebensablauf einführt. Wenn das Konstanz-Prinzip im Sinne Fechnersdas Leben beherrscht, welches also dann ein Gleiten in den Tod seinsollte, so sind es die Ansprüche des Eros, der Sexualtriebe, welcheals Triebbedürfnisse das Herabsinken des Niveaus aufhalten und neueSpannungen einführen. Das Es erwehrt sich ihrer, vom Lustprinzip,das heißt der Unlustwahrnehmung geleitet, auf verschiedenen Wegen.Zunächst durch möglichst beschleunigte Nachgiebigkeit gegen dieForderungen der nicht desexualisierten Libido, also durch Ringen nachBefriedigung der direkt sexuellen Strebungen. In weit ausgiebigererWeise, indem es sich bei einer dieser Befriedigungen, in der alleTeilansprüche zusammentreffen, der sexuellen Substanzen entledigt,welche sozusagen gesättigte Träger der erotischen Spannungen sind.Die Abstoßung der Sexualstoffe im Sexualakt entspricht gewissermaßender Trennung von Soma und Keimplasma. Daher die Ähnlichkeit desZustandes nach der vollen Sexualbefriedigung mit dem Sterben, beiniederen Tieren das Zusammenfallen des Todes mit dem Zeugungsakt.Diese Wesen sterben an der Fortpflanzung, insofern nach derAusschaltung des Eros durch die Befriedigung der Todestrieb freieHand bekommt, seine Absichten durchzusetzen. Endlich erleichtert, wiewir gehört haben, das Ich dem Es die Bewältigungsarbeit, indem esAnteile der Libido für sich und seine Zwecke sublimiert.

V. Die Abhängigkeiten des Ichs

Die Verschlungenheit des Stoffes mag entschuldigen, dass sichkeine der Überschriften ganz mit dem Inhalt der Kapitel deckt unddass wir immer wieder auf bereits Erledigtes zurückgreifen, wenn wirneue Beziehungen studieren wollen.
So haben wir wiederholt gesagt,dass das Ich sich zum guten Teil aus Identifizierungen bildet, welcheaufgelassene Besetzungen des Es ablösen, dass die ersten dieserIdentifizierungen sich regelmäßig als besondere Instanz im Ichgebärden, sich als Über-Ich dem Ich entgegenstellen, während daserstarkte Ich sich späterhin gegen solche Identifizierungseinflüsseresistenter verhalten mag. Das Über-Ich verdankt seine besondereStellung im Ich oder zum Ich einem Moment, das von zwei Seiten hereingeschätzt werden soll, erstens, dass es die erste Identifizierungist, die vorfiel, solange das Ich noch schwach war, und zweitens,dass es der Erbe des Ödipuskomplexes ist, also die großartigstenObjekte ins Ich einführte. Es verhält sich gewissermaßen zu denspäteren Ichveränderungen wie die primäre Sexualphase der Kindheitzum späteren Sexualleben nach der Pubertät. Obwohl allen späterenEinflüssen zugänglich, behält es doch zeitlebens den Charakter,der ihm durch seinen Ursprung aus dem Vaterkomplex verliehen ist,nämlich die Fähigkeit, sich dem Ich entgegenzustellen und es zumeistern. Es ist das Denkmal der einstigen Schwäche und Abhängigkeitdes Ichs und setzt seine Herrschaft auch über das reife Ich fort.Wie das Kind unter dem Zwange stand, seinen Eltern zu gehorchen, sounterwirft sich das Ich dem kategorischen Imperativ seinesÜber-Ichs.
Die Abkunft von den ersten Objektbesetzungen des Es,also vom Ödipuskomplex, bedeutet aber für das Über-Ich noch mehr.Sie bringt es, wie wir bereits ausgeführt haben, in Beziehung zu denphylogenetischen Erwerbungen des Es und macht es zur Reinkarnationfrüherer Ichbildungen, die ihre Niederschläge im Es hinterlassenhaben. Somit steht das Über-Ich dem Es dauernd nahe und kann dem Ichgegenüber dessen Vertretung führen. Es taucht tief ins Es ein, istdafür entfernter vom Bewusstsein als das IchMan kann sagen: Auch daspsychoanalytische oder metapsychologische Ich steht auf dem Kopf wiedas anatomische, das Gehirnmännchen.
Diese Beziehungen würdigenwir am besten, wenn wir uns gewissen klinischen Tatsachen zuwenden,die längst keine Neuheit sind, aber ihrer theoretischen Verarbeitungnoch warten.
Es gibt Personen, die sich in der analytischen Arbeitganz sonderbar benehmen. Wenn man ihnen Hoffnung gibt und ihnenZufriedenheit mit dem Stand der Behandlung zeigt, scheinen sieunbefriedigt und verschlechtern regelmäßig ihr Befinden. Man hältdas anfangs für Trotz und Bemühen, dem Arzt ihre Überlegenheit zubezeugen. Später kommt man zu einer tieferen und gerechterenAuffassung. Man überzeugt sich nicht nur, dass diese Personen keinLob und keine Anerkennung vertragen, sondern dass sie auf dieFortschritte der Kur in verkehrter Weise reagieren. JedePartiallösung, die eine Besserung oder zeitweiliges Aussetzen derSymptome zur Folge haben sollte und bei anderen auch hat, ruft beiihnen eine momentane Verstärkung ihres Leidens hervor, sieverschlimmern sich während der Behandlung, anstatt sich zu bessern.Sie zeigen die sogenannte negative therapeutische Reaktion.
KeinZweifel, dass sich bei ihnen etwas der Genesung widersetzt, dassderen Annäherung wie eine Gefahr gefürchtet wird. Man sagt, beidiesen Personen hat nicht der Genesungswille, sondern dasKrankheitsbedürfnis die Oberhand. Analysiert man diesen Widerstandin gewohnter Weise, zieht die Trotzeinstellung gegen den Arzt, dieFixierung an die Formen des Krankheitsgewinnes von ihm ab, so bleibtdoch das meiste noch bestehen, und dies erweist sich als das stärksteHindernis der Wiederherstellung, stärker als die uns bereitsbekannten der narzisstischen Unzugänglichkeit, der negativenEinstellung gegen den Arzt und des Haftens am Krankheitsgewinne.
Mankommt endlich zur Einsicht, dass es sich um einen sozusagen»moralischen« Faktor handelt, um ein Schuldgefühl, welches imKranksein seine Befriedigung findet und auf die Strafe des Leidensnicht verzichten will. An dieser wenig tröstlichen Aufklärung darfman endgültig festhalten. Aber dies Schuldgefühl ist für denKranken stumm, es sagt ihm nicht, dass er schuldig ist, er fühltsich nicht schuldig, sondern krank. Dies Schuldgefühl äußert sichnur als schwer reduzierbarer Widerstand gegen die Herstellung. Es istauch besonders schwierig, den Kranken von diesem Motiv seinesKrankbleibens zu überzeugen, er wird sich an die näherliegendeErklärung halten, dass die analytische Kur nicht das richtige Mittelist, ihm zu helfenDer Kampf gegen das Hindernis des unbewusstenSchuldgefühls wird dem Analytiker nicht leicht gemacht. Man kanndirekt nichts dagegen tun, indirekt nichts anderes, als dass manlangsam seine unbewusst verdrängten Begründungen aufdeckt, wobei essich allmählich in bewusstes Schuldgefühl verwandelt. Einebesondere Chance der Beeinflussung gewinnt man, wenn dies ubwSchuldgefühl ein entlehntes ist, das heißt das Ergebnis derIdentifizierung mit einer anderen Person, die einmal Objekt einererotischen Besetzung war. Eine solche Übernahme des Schuldgefühlsist oft der einzige, schwer kenntliche Rest der aufgegebenenLiebesbeziehung. Die Ähnlichkeit mit dem Vorgang bei Melancholie istdabei unverkennbar. Kann man diese einstige Objektbesetzung hinterdem ubw Schuldgefühl aufdecken, so ist die therapeutischeAufgabe oft glänzend gelöst, sonst ist der Ausgang dertherapeutischen Bemühung keineswegs gesichert. Er hängt in ersterLinie von der Intensität des Schuldgefühls ab, welcher die Therapieoft keine Gegenkraft von gleicher Größenordnung entgegenstellenkann. Vielleicht auch davon, ob die Person des Analytikers eszulässt, dass sie vom Kranken an die Stelle seines Ichideals gesetztwerde, womit die Versuchung verbunden ist, gegen den Kranken dieRolle des Propheten, Seelenretters, Heilands zu spielen. Da dieRegeln der Analyse einer solchen Verwendung der ärztlichenPersönlichkeit entschieden widerstreben, ist ehrlich zuzugeben, dasshier eine neue Schranke für die Wirkung der Analyse gegeben ist, dieja die krankhaften Reaktionen nicht unmöglich machen, sondern demIch des Kranken die Freiheit schaffen soll, sich so oderanders zu entscheiden..
Was hier beschrieben wurde, entspricht denextremsten Vorkommnissen, dürfte aber in geringerem Ausmaß fürsehr viele, vielleicht für alle schwereren Fälle von Neurose inBetracht kommen. Ja, noch mehr, vielleicht ist es gerade dieserFaktor, das Verhalten des Ichideals, der die Schwere einerneurotischen Erkrankung maßgebend bestimmt. Wir wollen darum einigenweiteren Bemerkungen über die Äußerung des Schuldgefühls unterverschiedenen Bedingungen nicht aus dem Wege gehen.
Das normale,bewusste Schuldgefühl (Gewissen) bietet der Deutung keineSchwierigkeiten, es beruht auf der Spannung zwischen dem Ich und demIchideal, ist der Ausdruck einer Verurteilung des Ichs durch seinekritische Instanz. Die bekannten Minderwertigkeitsgefühle derNeurotiker dürften nicht weit davon abliegen. In zwei unswohlvertrauten Affektionen ist das Schuldgefühl überstark bewusst;das Ichideal zeigt dann eine besondere Strenge und wütet gegen dasIch oft in grausamer Weise. Neben dieser Übereinstimmung ergebensich bei den beiden Zuständen, Zwangsneurose und Melancholie,Verschiedenheiten im Verhalten des Ichideals, die nicht minderbedeutungsvoll sind.
Bei der Zwangsneurose (gewissen Formenderselben) ist das Schuldgefühl überlaut, kann sich aber vor demIch nicht rechtfertigen. Das Ich des Kranken sträubt sich dahergegen die Zumutung, schuldig zu sein, und verlangt vom Arzt, inseiner Ablehnung dieser Schuldgefühle bestärkt zu werden. Es wäretöricht, ihm nachzugeben, denn es bliebe erfolglos. Die Analysezeigt dann, dass das Über-Ich durch Vorgänge beeinflusst wird,welche dem Ich unbekannt geblieben sind. Es lassen sich wirklich dieverdrängten Impulse auffinden, welche das Schuldgefühl begründen.Das Über-Ich hat hier mehr vom unbewussten Es gewusst als dasIch.
Noch stärker ist der Eindruck, dass das Über-Ich dasBewusstsein an sich gerissen hat, bei der Melancholie. Aber hier wagtdas Ich keinen Einspruch, es bekennt sich schuldig und unterwirftsich den Strafen. Wir verstehen diesen Unterschied. Bei derZwangsneurose handelte es sich um anstößige Regungen, die außerhalbdes Ichs geblieben sind; bei der Melancholie aber ist das Objekt, demder Zorn des Über-Ichs gilt, durch Identifizierung ins Ichaufgenommen worden.
Es ist gewiß nicht selbstverständlich, dassbei diesen beiden neurotischen Affektionen das Schuldgefühl eine soaußerordentliche Stärke erreicht, aber das Hauptproblem derSituation liegt doch an anderer Stelle. Wir schieben seine Erörterungauf, bis wir die anderen Fälle behandelt haben, in denen dasSchuldgefühl unbewusst bleibt.
Dies ist doch wesentlich beiHysterie und Zuständen vom hysterischen Typus zu finden. DerMechanismus des Unbewusstbleibens ist hier leicht zu erraten. Dashysterische Ich erwehrt sich der peinlichen Wahrnehmung, die ihm vonSeiten der Kritik seines Über-Ichs droht, in derselben Weise, wie essich sonst einer unerträglichen Objektbesetzung zu erwehren pflegt,durch einen Akt der Verdrängung. Es liegt also am Ich, wenn dasSchuldgefühl unbewusst bleibt. Wir wissen, dass sonst das Ich dieVerdrängungen im Dienst und Auftrag seines Über-Ichs vornimmt; hierist aber ein Fall, wo es sich derselben Waffe gegen seinen gestrengenHerrn bedient. Bei der Zwangsneurose überwiegen bekanntlich diePhänomene der Reaktionsbildung; hier gelingt dem Ich nur dieFernhaltung des Materials, auf welches sich das Schuldgefühlbezieht.
Man kann weitergehen und die Voraussetzung wagen, dassein großes Stück des Schuldgefühls normalerweise unbewusst seinmüsse, weil die Entstehung des Gewissens innig an den Ödipuskomplexgeknüpft ist, welcher dem unbewussten angehört. Würde jemand denparadoxen Satz vertreten wollen, dass der normale Mensch nicht nurviel unmoralischer ist, als er glaubt, sondern auch viel moralischer,als er weiß, so hätte die Psychoanalyse, auf deren Befunden dieerste Hälfte der Behauptung ruht, auch gegen die zweite Hälftenichts einzuwendenDieser Satz ist nur scheinbar ein Paradoxon; erbesagt einfach, dass die Natur des Menschen im Guten wie im Bösenweit über das hinausgeht, was er von sich glaubt, das heißt wasseinem Ich durch Bewusstseinswahrnehmung bekannt ist.
Es war eineÜberraschung zu finden, dass eine Steigerung dieses ubwSchuldgefühls den Menschen zum Verbrecher machen kann. Aber es istunzweifelhaft so. Es lässt sich bei vielen, besonders jugendlichenVerbrechern ein mächtiges Schuldgefühl nachweisen, welches vor derTat bestand, also nicht deren Folge, sondern deren Motiv ist, als obes als Erleichterung empfunden würde, dies unbewusste Schuldgefühlan etwas Reales und Aktuelles knüpfen zu können.
In all diesenVerhältnissen erweist das Über-Ich seine Unabhängigkeit vombewussten Ich und seine innigen Beziehungen zum unbewussten Es. Nunerhebt sich mit Rücksicht auf die Bedeutung, die wir denvorbewussten Wortresten im Ich zugeschrieben haben, die Frage, ob dasÜber-Ich, wenn es ubw ist, nicht aus solchenWortvorstellungen, oder aus was sonst es besteht. Die bescheideneAntwort wird lauten, dass das Über-Ich auch seine Herkunft ausGehörtem unmöglich verleugnen kann, es ist ja ein Teil des Ichs undbleibt von diesen Wortvorstellungen (Begriffen, Abstraktionen) herdem Bewusstsein zugänglich, aber die Besetzungsenergie wirddiesen Inhalten des Über-Ichs nicht von der Hörwahrnehmung, demUnterricht, der Lektüre, sondern von den Quellen im Eszugeführt.
Die Frage, deren Beantwortung wir zurückgestellthatten, lautet: Wie geht es zu, dass das Über-Ich sich wesentlichals Schuldgefühl (besser: als Kritik; Schuldgefühl ist die dieserKritik entsprechende Wahrnehmung im Ich) äußert und dabei eine soaußerordentliche Härte und Strenge gegen das Ich entfaltet? Wendenwir uns zunächst zur Melancholie, so finden wir, dass das überstarkeÜber-Ich, welches das Bewusstsein an sich gerissen hat, gegen dasIch mit schonungsloser Heftigkeit wütet, als ob es sich des ganzenim Individuum verfügbaren Sadismus bemächtigt hätte. Nach unsererAuffassung des Sadismus würden wir sagen, die destruktive Komponentehabe sich im Über-Ich abgelagert und gegen das Ich gewendet. Was nunim Über-Ich herrscht, ist wie eine Reinkultur des Todestriebes, undwirklich gelingt es diesem oft genug, das Ich in den Tod zu treiben,wenn das Ich sich nicht vorher durch den Umschlag in Manie seinesTyrannen erwehrt.
Ähnlich peinlich und quälerisch sind dieGewissensvorwürfe bei bestimmten Formen der Zwangsneurose, aber dieSituation ist hier weniger durchsichtig. Es ist im Gegensatz zurMelancholie bemerkenswert, dass der Zwangskranke eigentlich niemalsden Schritt der Selbsttötung macht, er ist wie immun gegen dieSelbstmordgefahr, weit besser dagegen geschützt als der Hysteriker.Wir verstehen, es ist die Erhaltung des Objekts, die die Sicherheitdes Ichs verbürgt. Bei der Zwangsneurose ist es durch eineRegression zur prägenitalen Organisation möglich geworden, dass dieLiebesimpulse sich in Aggressionsimpulse gegen das Objekt umsetzen.Wiederum ist der Destruktionstrieb frei geworden und will das Objektvernichten, oder es hat wenigstens den Anschein, als bestünde solcheAbsicht. Das Ich hat diese Tendenzen nicht aufgenommen, es sträubtsich gegen sie mit Reaktionsbildungen und Vorsichtsmaßregeln; sieverbleiben im Es. Das Über-Ich aber benimmt sich, als wäre das Ichfür sie verantwortlich, und zeigt uns gleichzeitig durch den Ernst,mit dem es diese Vernichtungsabsichten verfolgt, dass es sich nichtum einen durch die Regression hervorgerufenen Anschein, sondern umwirklichen Ersatz von Liebe durch Hass handelt. Nach beiden Seitenhilflos, wehrt sich das Ich vergeblich gegen die Zumutungen desmörderischen Es wie gegen die Vorwürfe des strafenden Gewissens. Esgelingt ihm, gerade die gröbsten Aktionen beider zu hemmen, dasErgebnis ist zunächst eine endlose Selbstqual und in der weiterenEntwicklung eine systematische Quälerei des Objekts, wo dieszugänglich ist.
Die gefährlichen Todestriebe werden imIndividuum auf verschiedene Weise behandelt, teils durch Mischung miterotischen Komponenten unschädlich gemacht, teils als Aggressionnach außen abgelenkt, zum großen Teil setzen sie gewiss unbehindertihre innere Arbeit fort. Wie kommt es nun, dass bei der Melancholiedas Über-Ich zu einer Art Sammelstätte der Todestriebe werdenkann?
Vom Standpunkt der Triebeinschränkung, der Moralität, kannman sagen: Das Es ist ganz amoralisch, das Ich ist bemüht, moralischzu sein, das Über-Ich kann hypermoralisch und dann so grausam werdenwie nur das Es. Es ist merkwürdig, dass der Mensch, je mehr er seineAggression nach außen einschränkt, desto strenger, also aggressiverin seinem Ichideal wird. Der gewöhnlichen Betrachtung erscheint diesumgekehrt, sie sieht in der Forderung des Ichideals das Motiv fürdie Unterdrückung der Aggression. Die Tatsache bleibt aber, wie wirsie ausgesprochen haben: Je mehr ein Mensch seine Aggressionmeistert, desto mehr steigert sich die Aggressionsneigung seinesIdeals gegen sein Ich. Es ist wie eine Verschiebung, eine Wendunggegen das eigene Ich. Schon die gemeine, normale Moral hat denCharakter des hart Einschränkenden, grausam Verbietenden. Daherstammt ja die Konzeption des unerbittlich strafenden höherenWesens.
Ich kann nun diese Verhältnisse nicht weiter erläutern,ohne eine neue Annahme einzuführen. Das Über-Ich ist ja durch eineIdentifizierung mit dem Vatervorbild entstanden. Jede solcheIdentifizierung hat den Charakter einer Desexualisierung oder selbstSublimierung. Es scheint nun, dass bei einer solchen Umsetzung aucheine Triebentmischung stattfindet. Die erotische Komponente hat nachder Sublimierung nicht mehr die Kraft, die ganze hinzugesetzteDestruktion zu binden, und diese wird als Aggressions- undDestruktionsneigung frei. Aus dieser Entmischung würde das Idealüberhaupt den harten, grausamen Zug des gebieterischen Sollensbeziehen.
Noch ein kurzes Verweilen bei der Zwangsneurose. Hierliegen die Verhältnisse anders. Die Entmischung der Liebe zurAggression ist nicht durch eine Leistung des Ichs zustande gekommen,sondern die Folge einer Regression, die sich im Es vollzogen hat.Aber dieser Vorgang hat vom Es auf das Über-Ich übergegriffen,welches nun seine Strenge gegen das unschuldige Ich verschärft. Inbeiden Fällen würde aber das Ich, welches die Libido durchIdentifizierung bewältigt hat, dafür die Strafe durch die derLibido beigemengte Aggression vom Über-Ich her erleiden.
UnsereVorstellungen vom Ich beginnen sich zu klären, seine verschiedenenBeziehungen an Deutlichkeit zu gewinnen. Wir sehen das Ich jetzt inseiner Stärke und in seinen Schwächen. Es ist mit wichtigenFunktionen betraut, kraft seiner Beziehung zum Wahrnehmungssystemstellt es die zeitliche Anordnung der seelischen Vorgänge her undunterzieht dieselben der Realitätsprüfung. Durch die Einschaltungder Denkvorgänge erzielt es einen Aufschub der motorischenEntladungen und beherrscht die Zugänge zur Motilität. LetztereHerrschaft ist allerdings mehr formal als faktisch, das Ich hat inder Beziehung zur Handlung etwa die Stellung eines konstitutionellenMonarchen, ohne dessen Sanktion nichts Gesetz werden kann, der essich aber sehr überlegt, ehe er gegen einen Vorschlag des Parlamentssein Veto einlegt. Das Ich bereichert sich bei allenLebenserfahrungen von außen; das Es aber ist seine andere Außenwelt,die es sich zu unterwerfen strebt. Es entzieht dem Es Libido, bildetdie Objektbesetzungen des Es zu Ichgestaltungen um. Mit Hilfe desÜber-Ichs schöpft es in einer für uns noch dunklen Weise aus denim Es angehäuften Erfahrungen der Vorzeit.
Es gibt zwei Wege, aufdenen der Inhalt des Es ins Ich eindringen kann. Der eine ist derdirekte, der andere führt über das Ichideal, und es mag für mancheseelische Tätigkeiten entscheidend sein, auf welchem der beiden Wegesie erfolgen. Das Ich entwickelt sich von der Triebwahrnehmung zurTriebbeherrschung, vom Triebgehorsam zur Triebhemmung. An dieserLeistung hat das Ichideal, das ja zum Teil eine Reaktionsbildunggegen die Triebvorgänge des Es ist, seinen starken Anteil. DiePsychoanalyse ist ein Werkzeug, welches dem Ich die fortschreitendeEroberung des Es ermöglichen soll.
Aber anderseits sehen wirdasselbe Ich als armes Ding, welches unter dreierlei Dienstbarkeitensteht und demzufolge unter den Drohungen von dreierlei Gefahrenleidet, von der Außenwelt her, von der Libido des Es und von derStrenge des Über-Ichs. Dreierlei Arten von Angst entsprechen diesendrei Gefahren, denn Angst ist der Ausdruck eines Rückzuges vor derGefahr. Als Grenzwesen will das Ich zwischen der Welt und dem Esvermitteln, das Es der Welt gefügig machen und die Welt mittelsseiner Muskelaktionen dem Es-Wunsch gerecht machen. Es benimmt sicheigentlich wie der Arzt in einer analytischen Kur, indem es sichselbst mit seiner Rücksichtnahme auf die reale Welt dem Es alsLibidoobjekt empfiehlt und dessen Libido auf sich lenken will. Es istnicht nur der Helfer des Es, auch sein unterwürfiger Knecht, der umdie Liebe seines Herrn wirbt. Es sucht, wo möglich, im Einvernehmenmit dem Es zu bleiben, überzieht dessen ubw Gebote mit seinenvbw Rationalisierungen, spiegelt den Gehorsam des Es gegen dieMahnungen der Realität vor, auch wo das Es starr und unnachgiebiggeblieben ist, vertuscht die Konflikte des Es mit der Realität und,wo möglich, auch die mit dem Über-Ich. In seiner Mittelstellungzwischen Es und Realität unterliegt es nur zu oft der Versuchung,liebedienerisch, opportunistisch und lügnerisch zu werden, etwa wieein Staatsmann, der bei guter Einsicht sich doch in der Gunst deröffentlichen Meinung behaupten will.
Zwischen beiden Triebartenhält es sich nicht unparteiisch. Durch seine Identifizierungs- undSublimierungsarbeit leistet es den Todestrieben im Es Beistand zurBewältigung der Libido, gerät aber dabei in Gefahr, zum Objekt derTodestriebe zu werden und selbst umzukommen. Es hat sich zu Zweckender Hilfeleistung selbst mit Libido erfüllen müssen, wird dadurchselbst Vertreter des Eros und will nun leben und geliebt werden.
Daaber seine Sublimierungsarbeit eine Triebentmischung und Freiwerdender Aggressionstriebe im Über-Ich zur Folge hat, liefert es sichdurch seinen Kampf gegen die Libido der Gefahr der Misshandlung unddes Todes aus. Wenn das Ich unter der Aggression des Über-Ichsleidet oder selbst erliegt, so ist sein Schicksal ein Gegenstück zudem der Protisten, die an den Zersetzungsprodukten zugrunde gehen,die sie selbst geschaffen haben. Als solches Zersetzungsprodukt imökonomischen Sinne erscheint uns die im Über-Ich wirkendeMoral.
Unter den Abhängigkeiten des Ichs ist wohl die vomÜber-Ich die interessanteste.
Das Ich ist ja die eigentlicheAngststätte. Von den dreierlei Gefahren bedroht, entwickelt das Ichden Fluchtreflex, indem es seine eigene Besetzung von derbedrohlichen Wahrnehmung oder dem ebenso eingeschätzten Vorgang imEs zurückzieht und als Angst ausgibt. Diese primitive Reaktion wirdspäter durch Aufführung von Schutzbesetzungen abgelöst(Mechanismus der Phobien). Was das Ich von der äußeren und von derLibidogefahr im Es befürchtet, lässt sich nicht angeben; wirwissen, es ist Überwältigung oder Vernichtung, aber es istanalytisch nicht zu fassen. Das Ich folgt einfach der Warnung desLustprinzips. Hingegen lässt sich sagen, was sich hinter der Angstdes Ichs vor dem Über-Ich, der Gewissensangst, verbirgt. Vom höherenWesen, welches zum Ichideal wurde, drohte einst die Kastration, unddiese Kastrationsangst ist wahrscheinlich der Kern, um den sich diespätere Gewissensangst ablagert, sie ist es, die sich alsGewissensangst fortsetzt.
Der volltönende Satz: jede Angst seieigentlich Todesangst, schließt kaum einen Sinn ein, ist jedenfallsnicht zu rechtfertigen. Es scheint mir vielmehr durchaus richtig, dieTodesangst von der Objekt-(Real-)Angst und von der neurotischenLibidoangst zu sondern. Sie gibt der Psychoanalyse ein schweresProblem auf, denn Tod ist ein abstrakter Begriff von negativemInhalt, für den eine unbewusste Entsprechung nicht zu finden ist.Der Mechanismus der Todesangst könnte nur sein, dass das Ich seinenarzisstische Libidobesetzung in reichlichem Ausmaß entlässt, alsosich selbst aufgibt wie sonst im Angstfalle ein anderes Objekt. Ichmeine, dass die Todesangst sich zwischen Ich und Über-Ichabspielt.
Wir kennen das Auftreten von Todesangst unter zweiBedingungen, die übrigens denen der sonstigen Angstentwicklungdurchaus analog sind, als Reaktion auf eine äußere Gefahr und alsinneren Vorgang, zum Beispiel bei Melancholie. Der neurotische Fallmag uns wieder einmal zum Verständnis des realen verhelfen.
DieTodesangst der Melancholie lässt nur die eine Erklärung zu, dassdas Ich sich aufgibt, weil es sich vom Über-Ich gehasst und verfolgtanstatt geliebt fühlt. Leben ist also für das Ich gleichbedeutendmit Geliebtwerden, vom Über-Ich geliebt werden, das auch hier alsVertreter des Es auftritt. Das Über-Ich vertritt dieselbe schützendeund rettende Funktion wie früher der Vater, später die Vorsehungoder das Schicksal. Denselben Schluss muss das Ich aber auch ziehen,wenn es sich in einer übergroßen realen Gefahr befindet, die es auseigenen Kräften nicht glaubt überwinden zu können. Es sieht sichvon allen schützenden Mächten verlassen und lässt sich sterben. Esist übrigens immer noch dieselbe Situation, die dem ersten großenAngstzustand der Geburt und der infantilen Sehnsucht-Angst zugrundelag, die der Trennung von der schützenden Mutter.
Auf Grunddieser Darlegungen kann also die Todesangst wie die Gewissensangstals Verarbeitung der Kastrationsangst aufgefasst werden. Bei dergroßen Bedeutung des Schuldgefühls für die Neurosen ist es auchnicht von der Hand zu weisen, dass die gemeine neurotische Angst inschweren Fällen eine Verstärkung durch die Angstentwicklungzwischen Ich und Über-Ich (Kastrations-, Gewissens-, Todesangst)erfährt.
Das Es, zu dem wir am Ende zurückführen, hat keineMittel, dem Ich Liebe oder Hass zu bezeugen. Es kann nicht sagen, wases will; es hat keinen einheitlichen Willen zustande gebracht. Erosund Todestrieb kämpfen in ihm; wir haben gehört, mit welchenMitteln sich die einen Triebe gegen die anderen zur Wehre setzen. Wirkönnten es so darstellen, als ob das Es unter der Herrschaft derstummen, aber mächtigen Todestriebe stünde, die Ruhe haben und denStörenfried Eros nach den Winken des Lustprinzips zur Ruhe bringenwollen, aber wir besorgen, doch dabei die Rolle des Eros zuunterschätzen.

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